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'Eigentlich lachen alle über Kim'

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Nordkorea hat alle Ausländer aufgefordert, Südkorea sofort zu verlassen. Droht wirklich Krieg? Sieben Deutsche und ein Österreicher über ihren Alltag auf der anderen Seite der Welt.

Thorsten Schrader, 26, deutscher Student, Seoul: 'Seit sechs Wochen wohne ich hier als Maschinenbaustudent, insgesamt möchte ich ein halbes Jahr in Südkorea bleiben. Ich arbeite an einem Design-Projekt, mein Professor in Aachen hat es mir vermittelt. An meiner Uni in Südkorea bin ich der einzige deutsche Austauschstudent - es gibt noch etwa 15 weitere ausländische Studenten, die kommen aus Taiwan, China, Frankreich, Singapur, USA und Australien. Wegen des nordkoreanischen Säbelrasselns mache ich mir schon etwas Sorgen - vor allem wegen der vielen Mails, die ich zu diesem Thema von meinen Freunden und Verwandten aus dem Ausland bekommen habe. Meine südkoreanischen Freunde hingegen sagten immer nur: ,Solche Drohungen gibt es doch jedes Jahr. Der neue Diktator will doch nur unsere neue Präsidentin herausfordern." Eigentlich lachen hier alle über Kim. Manche Medien reduzieren ihn auf den kleinen dicken Jungen, der jetzt mal mit der großen Bombe prahlen muss, von der man gar nicht weiß, ob sie überhaupt existiert. Aber als jetzt die gemeinsame Wirtschaftszone dicht gemacht wurde, da wurden hier alle doch etwas nachdenklicher. Im Ernstfall, das wissen meine Freunde, werden auch sie eingezogen. Gleichzeitig möchte sich niemand vorstellen, gegen den Norden, mit dessen Bevölkerung man sich sehr verbunden fühlt, in den Krieg zu ziehen. Um uns Ausländer zu beruhigen, hat uns unser Uni-Direktor gerade geschrieben, dass er die Vogelgrippe für weitaus bedrohlicher hält als den nordkoreanischen Diktator. Für mich ist das alles schwer zu beurteilen. Moment, jetzt höre ich gerade ein Megafon unten auf der Straße! Ach, da will nur einer seine Erdbeeren verkaufen.'



Viele Studenten in Nordkorea empfinden Kim Jung Un als ungefährlich

Daniela Rost, 29, Deutschlehrerin, Seoul: 'Ich bin seit vier Jahren in Korea. Obwohl ich mich natürlich mit dem Norden beschäftige, versuche ich das Ganze nicht zu nah an mich ranzulassen und schaue zum Beispiel nicht alle Nachrichten genau an. Wenn ich das tun würde, säße ich wahrscheinlich direkt im nächsten Flieger nach Hause. Der Flughafen wäre übrigens auch mein erster Anlaufpunkt, wenn doch angegriffen wird. Es gibt in Korea verschiedene Sammelstellen für Deutsche, auch in der deutschen Botschaft gibt es eine. Aber der Flughafen ist näher und wäre daher meine erste Wahl. Obwohl ... Wie würde ich eigentlich zum Flughafen kommen? Seoul ist riesig, ich brauche ungefähr eine Stunde mit dem Bus. Aber ob dann noch Busse fahren? Falls nicht, würde ich es per Taxi versuchen. Die wollen bestimmt einen Gefahrenaufschlag, aber den muss ich dann wohl zahlen. Aber noch gibt es keine Hamsterkäufe, die Schulen sind geöffnet, alles ganz normal.'

Reinhard Böhm, 59, österreichischer Bauingenieur, Duchangri: 'Wenn man schon lange in Korea lebt, ist das, was der Kim da macht, ziemlich eindeutig: Der junge Mann ist gerade 30, die Generäle um ihn herum sind zwischen 65 und 75 Jahre alt. Und hier lässt sich kein 75-Jähriger von einem solchen Jungspund etwas sagen, das können Sie mir glauben. Ja, und so will er eben seine Stellung festigen. Aber Krieg wird"s nicht geben. Der Kim ist ja nicht so ein Fanatiker, dass er eine Selbstmordmission anzettelt. Wenn er angreifen würde, wäre Nordkorea in zwei oder drei Tagen platt. Das sieht auch meine Frau so, eine Koreanerin, die ich 1986 bei einem Bau-projekt kennengelernt habe. Wenn ich die Nachrichten sehe, wird mir, ehrlich gesagt, manchmal etwas mulmig. Aber so weit, dass ich sage: ,Ich hab Angst", so weit war es noch nie. Dafür bin ich einfach schon zu lange hier. Klar, man darf nie vergessen: Zwischen Norden und Süden herrscht seit 1953 nur Waffenstillstand. Kein Frieden.'

Gianpaolo Sciortino, 36, Geschäftsführer eines Strickmaschinennadel-Herstellers in Seoul: 'Ich bin hier in sehr engem Kontakt mit vielen anderen deutschen Geschäftsleuten, und alle sagen das Gleiche: ,Business as usual. Die Krise wirkt sich nicht auf unsere Geschäfte aus." Wir merken rein wirtschaftlich gar keine Veränderung. Ich habe auch gerade geschäftlichen Besuch aus Deutschland hier. Es gab keinen Grund, die Reise abzusagen. Wir fühlen uns hier sicher. Meine südkoreanischen Kollegen winken grinsend ab, wenn ich nach der Bedrohung durch Kim Jong Un frage. Wenn ich allerdings amerikanisches Fernsehen schaue, habe ich das Gefühl, hier herrscht schon Krieg. Diese Bilder machen einen dann nervös. Hinzu kommen die vielen Anrufe aus Deutschland. Unsere Freunde und Familie finden, wir sollten jetzt lieber nach Hause kommen. Meine Frau und meine Tochter sind gestern auch tatsächlich nach Deutschland geflogen. Allerdings weniger wegen des Gefühls einer akuten Bedrohung. Eher, weil es psychisch für meine Frau irgendwann zu belastend wurde, allen zu erklären, dass wir in Sicherheit sind. In zehn Tagen will sie wieder zurückkommen.'

Stefan Dreyer, 54, Leiter des Goethe-Instituts in Seoul: 'Wir waren zuletzt im November in Nordkorea, gemeinsam mit dem Münchner Kammerorchester. Die haben in Pjöngjang mit nordkoreanischen Musikern ein sehr schönes, sehr intensives musikpädagogisches Programm organisiert. Wir hatten damals den Eindruck, dass sich einiges bewegt hat, haben Spuren einer Öffnung festgestellt. Zum Beispiel konnten wir uns abends einigermaßen frei bewegen, die Musiker haben in einer Eins-zu-eins-Situation miteinander gearbeitet, ohne Dolmetscher oder die sonstigen üblichen Begleiter. Die aktuelle Lage beobachten wir daher nicht ohne Spannung, aber auch mit Gelassenheit. Das sind wahrscheinlich Drohgebärden, die bekannt sind. Beunruhigend ist nur die Dauerhaftigkeit dieser schrillen Rhetorik.'

Bernhard Seliger, 42, Leiter der Hanns-Seidel-Stiftung Korea, Seoul: 'Wissen Sie, was heute das größte Thema in Südkorea war? Der neue Song des Popstars Psy, das ist der mit dem Gangnam-Style. Das einzige woran ich hier merke, dass es so etwas wie eine Bedrohungssituation gibt, ist, dass ich weniger Touristen auf dem Markt sehe. Natürlich ist die Situation unterschwellig angespannt, aber Sorgen mache ich mir keine. Die Nordkoreaner sind ja keine irrationalen Fanatiker. Als ich vor 15 Jahren nach Korea kam, war der Konflikt im Alltag noch spürbarer als jetzt. Da gab es richtige Schießereien an der Grenze. Ich bekam als frisch promovierter Volkswirtschaftler damals eine Stelle an der Universität in Seoul angeboten. Mein Doktorvater riet mir dringend ab, dorthin zu gehen, aber bei mir war die Abenteuerlust stärker als die Angst. Heute bin ich mit einer Koreanerin verheiratet, meine zwei Kinder gehen in Seoul zur Schule. Meinen Eltern gelingt es inzwischen, sich nicht mehr die ganze Zeit von Deutschland aus auszumalen, dass ich neben einer gezündeten Atombombe leben würde. Bei den jüngeren deutschen Kollegen, die noch nicht so lange hier sind, ist das anders. Die sind deutlich nervöser. Mit der Zeit legt sich das.

Durch die Arbeit in der Stiftung bekomme ich auch einen anderen Blick auf den innerkoreanischen Konflikt. Manchmal gelingt es uns, Nord- und Südkoreaner gemeinsam nach Deutschland einzuladen. Wenn die sich begegnen, finden richtige Verbrüderungsszenen statt. Das ist immer wieder sehr berührend. Mich hat die Wiedervereinigung in Deutschland stark geprägt, umso mehr berühren mich diese Treffen. Für einige der älteren Südkoreaner ist es fast traurig, wie selbstverständlich die junge Generation mit dem Konflikt umgeht. Die Älteren bedauern, dass es keine Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung gibt. Vielleicht sind wir hier manchmal wirklich etwas zu ruhig, was die politische Situation betrifft.'

Katharina Dohle, 24, Design-Studentin, Seoul: 'Eigentlich studiere ich Grafikdesign in Hildesheim. Als ich mir überlegt habe, ein Semester ins Ausland zu gehen, kam für mich natürlich nur Korea in Frage. Denn ich gehöre zu den wenigen Mädchen, die sich für Computerspiele interessieren. Ich will Game-Designerin werden. Und nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Computerspieler und so viele Spielefirmen wie in Südkorea. ,Muss es unbedingt Korea sein?", haben meine Eltern gefragt. ,Ja", habe ich gesagt. ,Den Korea-Konflikt gibt es schon lange, die Drohungen auch." Ich habe mir vor neun Monaten keine Sorgen gemacht. Und ich mache mir auch jetzt keine. Ich denke, die ausländischen Medien übertreiben, und die Südkoreaner unterschätzen das Problem. Man muss halt viel lesen und sich selbst eine Meinung bilden. Ich bin nicht naiv, aber ich dreh auch nicht durch.'

Anneliese Stern-Ko, 52, Hochschuldozentin, Seoul: 'Die Taxifahrer, mit denen ich mich oft unterhalte, scheinen besorgter als in anderen Jahren. Einer sagte, das Geschäft ginge schlecht, es blieben mehr Leute zu Hause. Ein anderer fand Kim Jong Un eigentlich bewundernswert, wenn er als Führer eines so kleinen Landes wie Nordkorea dem großen Amerika die Stirn biete. So etwas habe ich nicht das erste Mal gehört.'

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