Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Zwischen Techno-Geballer und Elektro-Klängen

$
0
0
Die Kölner Techno-Institution Kompakt wird 20 Jahre alt. Sie lösten den brachialen Techno der Neunzigerjahre ab.


Der derzeit gefeierte Pop von James Blake, Caribou oder The XX wäre ohne den europäischen Minimal-Techno der Jahrtausendwende nicht denkbar. Diese minimalistische elektronische Musik wurde von vielen Musikern und Labels entwickelt, aber niemand hatte dabei eine so große Bedeutung wie die Techno-Institution Kompakt, die dieser Tage ihren 20. Geburtstag feiert.

Der konzeptuell und klanglich durchdachte Minimal-Sound des Kölner Labels löste einst den brachialen Techno der Neunzigerjahre ab, der allein der Eskalationslogik des Nachtlebens gehorchte. Den Kompakt-Künstlern ging es dagegen um die Verbindung von Club- und Popmusik. Kompakt liegt auf halbem Weg zwischen dem Techno-Geballer der Love Parade und James Blakes feinsinnigen Umgang mit elektronischen Klängen.



Die Kölner Techno-Institution revolutionierte Techno, weil sie den reduzierten Bass mit allen denkbaren Musikstilen zu verbinden wusste.

Wie kam es dazu? Ende der achtziger Jahre wollte der spätere Kompakt-Mastermind Wolfgang Voigt ein Pop-Album produzieren. Aber die Körperlichkeit der Acid-House-Revolution zog da dem augenzwinkernden Zitat-Pop der Zeit schon den Boden unter den Füßen weg. Die peitschenden Grooves und die quietschenden, psychedelischen Basslines des Acid House versetzten Voigt und seine Freunde in Aufbruchsstimmung. Seit Punk in den Siebzigern hatten sie das nicht mehr erlebt. Der ästhetische Kern von Acid House war dabei die so genannte 'gerade Bassdrum'. Die gerade Bassdrum setzt auf jede Taktzeit einen Trommelschlag, der einfachste Groove, der vorstellbar ist. 'In der minimalsten Phase wurde, wie man damals sagte, gar nicht mehr gelacht', erzählt Michael Mayer, DJ und einer der bekanntesten Kompakt-Künstler: 'Minimal befreite Techno aber so von allem, was in den Clubs nervte: Snare-Wirbel, Euphoriegebote. Freiräume entstehen, wenn man entrümpelt. Das war der Wende, die von Köln ausging.'

Der neue, minimale Technoentwurf lies fast ausschließlich die Basstrommel stehen und war so simpelste, denkbare Lösung, das Schwarze Quadrat des Dancefloors. Aber die Kölner hatten ihre Popvergangenheit aus den Achtzigern nicht vergessen. Den Minimalismus zur reinen Lehre zu erklären, wäre zu naiv gewesen. Die Pointe der reduzierten Beats lag gerade darin, das sie sich durch ihre Neutralität mit allen denkbaren Musikstilen verbinden konnten. Das Motto lautete: '51% müssen Techno sein. Ansonsten ist erlaubt, was gefällt.' Man experimentierte mit Elementen aus der eigenen Popvergangenheit, mit klassischer Musik, mit Volksmusik, Schlager. Heute werden als außerelektronische Bezugspunkte meist unhinterfragbare Größen gewählt, etwa Gil Scott-Heron im Fall von The XX. Wolfgang Voigt war da risikofreudiger: 'Man nimmt Musik, die alle Scheiße finden und versucht sie von dem Scheiß-Aspekt zu befreien. Roy Black etwa hat was, das mich mein Leben lang berührt hat. Natürlich weiß ich, dass er der Schnulzensänger für das Altersheim par excellence ist. Interessant ist, ihn in einen neuen Kontext zu bringen, der vorzugsweise weder lustig, herablassend noch ironisierend ist.'

Im Sinn von Warhols Factory veröffentlichte Voigt oft ganze Serien von Platten, die eine formale Idee bearbeiteten. Die einzelnen Katalognummern der Studio-1-Serie etwa haben keine Namen, sie sind nur durch die Farben der Plattenhüllen zu unterscheiden.

Die elektronischen Instrumente ermöglichten es, ohne das Budget einer Plattenfirma Musik zu produzieren. Studiomieten und Musikerhonorare vielen weg. Da lag es nahe, auch eine Infrastruktur aufzubauen, um die Musik auch noch selbst zu verbreiten. So wurde 1998 Kompakt auch als Label gegründet. Justus Köhnke, Closer Musik, Michael Mayer, Superpitcher und einige andere legten eine Serie sensationeller Hits hin.

Ab 2001 passierte das Unvorstellbare: Kompakt knackte Großbritannien. Kompakt-Platten wurden fester Bestandteil der Sets der britischen DJ-Haudegen, Kompakt-Künstler wurden in die Clubs dort gebucht. Zum ersten Mal überhaupt setzte sich ein Dance Stil vom Kontinent auf der Insel durch. Diese internationale Wahrnehmung trug den Sound of Cologne auf der internationalen Technolandkarte ein. Besonders in Süd- und Osteuropa wurde der Kompakt-Sound gleichbedeutend mit elektronischer Tanzmusik überhaupt.

Ab 2005 kam der unvermeidliche Backlash: der puristische Sound hatte sich erschöpft. House setzte sich als Konsens-Partysound durch. Eine andere Krise betraf das Vinyl: Die Mehrheit der DJs begann mit CDs oder mit dem Laptop aufzulegen. Kompakt brachen die Umsätze weg. Die Firma konnte sich auf einem viel niedrigeren Niveau konsolidieren.

Mittlerweile sind zehn Jahre seit der minimalen Neudefinition der Clubmusik vergangen. Wo steht Kompakt heute? Die Resonanz ist jetzt vielfältig. Pitchfork kann mit den jährlich erscheinenden, einst hoch geschätzten Kompakt-Compilations kaum noch was anfangen. Einer der zentralen, mittlerweile unabhängigen Kompakt-Künstler, DJ Koze, wird in der New York Times gewürdigt.

Da Musiker heute ihr Geld mit Auftritten und nicht mehr mit aufgenommener Musik verdienen, entwirft sich die neue Künstler-Generation gleich als Live-Act. Diese DJ-Cliquen inszenieren sich als Rat Pack, das Glamour, Weltläufigkeit, Kaputtheit, Sexyness und spirituelle Abgeklärtheit ausstrahlt. Der Erfolg wird in Bookings in den Superclubs auf Ibiza gemessen. Dieser Karawane hat sich Kompakt nicht angeschlossen. Dort steht weiterhin die aufgenommen Musik im Zentrum. Ihre entscheidende, stilprägende Lektion ist auf Ibiza trotzdem angekommen: Die Mehrheit der vorherrschenden Club-Stile ist auf der Basis der minimalen Folie entwickelt.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345