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Eine Orgie der Offenbarung

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Alle 38 Kabinettsmitglieder der französischen Regierung mussten ihren Besitz offenlegen - das Volk amüsiert sich.


Es gibt in normalen Zeiten aufregendere Internetseiten als das Portal der französischen Regierung www.gouvernement.fr. Am Montag aber blickten viele Franzosen gespannt auf diese staatstragende Seite, die delikate Enthüllungen versprach. Am Spätnachmittag wollte die Regierung dort haarklein die Vermögensverhältnisse des Premiers Jean-Marc Ayrault und aller seiner 37 Kabinettsmitglieder auflisten. Wie reich ist der Industrieminister und Kapitalisten-Schreck Arnaud Montebourg? Wie teuren Schmuck trägt die grüne Ministerin für sozialen Wohnungsbau Cécile Duflot? Und wer ist der Krösus unter den sozialistischen Ressortchefs? Auf diese drängenden Fragen sollten die Bürger nun verlässliche Antworten bekommen.

Wohnungen, Autos, Möbel, Sparkonten, Aktien - alles muss auf den Tisch. Im diskreten Frankreich kommt das einer Offenbarungs-Orgie gleich. Präsident François Hollande hat sie angeordnet, um einen 'Moralisierungs-Schock' auszulösen und politisch aus der Defensive zu kommen. Darin steckt Hollande spätestens seit Mitte März, als sein Budgetminister Jérôme Cahuzac wegen verschwiegener Auslandskonten und monatelanger Lügereien zurücktreten musste. Der Fall verbitterte viele Menschen im wirtschaftlich darbenden Frankreich. Mit der Offenlegung der Vermögensverhältnisse möchte die Regierung nun wieder Kredit bei den Wählern gewinnen.



Klare Verhältnisse mussten die französischen Kabinettsmitgliedern bezüglich ihrer Vermögensverhältnisse schaffen - manche Politiker mit Zähneknirschen.

In den vergangenen Tagen sind bereits etliche Politiker von Regierung und Opposition vorangegangen und haben in Interviews und Blogs ihre Besitztümer ausgebreitet - mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen. So versicherte der sozialistische Senator Christian Bourquin, nur einen acht Monate alten katalanischen Esel zu besitzen. Hinzu komme noch ein Giro-Konto, das am Monatsende oft geleert sei. Kulturministerin Aurélie Filippetti verriet den Franzosen, sie nenne ein T-Shirt von David Beckham ihr Eigen. 'Ich werde es in meine Vermögenserklärung aufnehmen.' Jean-Luc Mélenchon wiederum, der Chef der sehr linken Linkspartei, nannte neben Immobilien und Konten auch sein Gewicht (79 Kilo) und seine Kragenweite (41/42).

Man ahnt es: Nicht alle französischen Politiker sind von der neuen Transparenz begeistert, die bald auch für die Senatoren und Abgeordneten gelten soll. Manche reagieren mit Spott, andere mit Ärger. So antwortete Städtebauminister François Lamy auf die Bitte von Fernsehreportern, ihn doch neben einem seiner Reichtümer filmen zu dürfen: 'Würde Sie ein Photo meiner Frau im Negligé interessieren?' Kritiker bezeichnen die verbindliche Veröffentlichung der Vermögensverhältnisse als 'Inquisition' oder 'Exhibitionismus'. Sie bemängeln, die Aktion verführe zum Voyeurismus der Bürger und zu einem Wettlauf der Politiker, wer der Ärmste von ihnen sei. Zudem sei nicht garantiert, dass Minister und Parlamentarier all ihren Besitz offenbarten. Schon bisher hätten die Kabinettsmitglieder ihr Eigentum regierungsintern auflisten müssen. Dennoch habe Cahuzac sein Auslandskonto verheimlicht. Statt Politiker zu entblößen, solle man sie lieber besser überwachen und Korruption konsequent ahnden.

Andere warnen, die Politiker müssten künftig indirekt auch über ihre Angehörigen Auskunft geben, etwa im Rahmen von Erbschaften und Gemeinschaftseigentum. Dies sei womöglich verfassungswidrig. Die Opposition argwöhnt, der 'Moralisierungs-Schock' sei nur Polit-Theater, mit dem Hollande von einer erfolglosen Wirtschaftspolitik ablenken wolle. Die Regierung kontert, die meisten europäischen Staaten hätten bereits eine solche Offenlegungs-Pflicht. Frankreich ziehe da nur nach. Zudem spreche sich eine Mehrheit der Franzosen dafür aus. Die Aktion könne dazu beitragen, wieder Vertrauen in die Politik zu schaffen.

Bleiben noch die drängenden Fragen: Laut den Vorab-Erklärungen hat Kapitalistenschreck Montebourg ein Nettovermögen von 397000 Euro, womit er deutlich mehr besitzt als ein französischer Durchschnittshaushalt (230 000 Euro). Zu Montebourgs Schatz gehören ein Sessel des Designers Charles Eames sowie ein Tiefgaragen-Stellplatz im burgundischen Dijon. Madame Duflot trägt Schmuck im Wert von 2000 Euro und fährt einen betagten Renault Twingo, den sie mit 1500 Euro ansetzt.

Finanziell besser steht die Gesundheitsministerin Marisol Touraine da, die ein Appartement in Paris hat und insgesamt auf ein Vermögen von 1,4 Millionen Euro kommt. Damit liegt sie knapp vor Präsident Hollande, der nach eigenem Bekunden die Reichen nicht mag und Immobilien und Konten im Wert von ungefähr 1,2 Millionen Euro hat. Doch das wissen die Franzosen schon länger. Krösus im Kabinett ist eine Frau, die Senioren-Ministerin Michèle Delaunay, die gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Vermögen von 5,4 Millionen Euro angibt. 'Die Opposition wird es sich nicht nehmen lassen, das Bild der reichen Sozialistin auszuschlachten', fürchtet sie. Sie dürfte Recht behalten.

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