Paula Bullings Comic-Reportage 'Im Land der Frühaufsteher' beschäftigt sich mit der trostlosen Situation der Asylbewerber in Deutschland - eine Welt, die sonst oft unsichtbar bleibt.
Es ist schwer, sich vorzustellen, wie man als Asylbewerber in Deutschland lebt - zwischen Lebensmittelgutscheinen und Campingkochern, eingezäunt in oftmals verlassenen Militärkasernen, in aller Regel auch räumlich fernab jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe. Die in der Bundesrepublik europaweit einmalige Residenzpflicht, also die Auflage, einen von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich nicht zu verlassen, trägt kaum zur Verbesserung der Situation der Flüchtlinge bei. In Paragraph 7, Absatz 5 der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung etwa wird das Ziel formuliert, die 'Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland' zu fördern - ebenfalls alles andere als ein Willkommensgruß.
Die konkreten Auswirkungen erlebt hat die Berliner Künstlerin Paula Bulling. In ihrem autobiografischen Comic-Debüt 'Im Land der Frühaufsteher' entwirft die 26-Jährige ein düsteres Bild von verschiedenen Asylbewerberheimen Sachsen-Anhalts, porträtiert - man möchte fast sagen: die dortigen 'Insassen', und zeigt den tristen Alltag in der 'ZAst', der Zentralen Aufnahmestelle, mitten in der provinziellen Einöde Möhlaus, einer 2000-Seelen-Stadt im Landkreis Wittenberg. Fragmentarisch wird der Leser in eine Welt der Ausgegrenzten geführt, die einerseits von generellem Misstrauen gegenüber Eindringlingen geprägt ist, andererseits aber auch von der Freude darüber, dass sich jemand für die Gefühle und Wünsche der dort Lebenden interessiert - eine Welt, die im gesellschaftlichen Bewusstsein untergeht, weil sie oftmals unsichtbar bleibt.
Das Leben der Asylbewerber in den häufig räumlich abgelegenen Asylbewerberheimen thematisiert die Comic-Reportage "Im Land der Frühaufsteher".
Was passiert, wenn diese Welt dann doch in die Öffentlichkeit tritt, zeigt das Beispiel der vorpommerschen Stadt Wolgast: Dort stieß die Einrichtung eines Asylbewerberheims im Herbst 2012 auf heftiges Misstrauen in der Bevölkerung, wurde begleitet von Drohungen aus dem rechten Lager, von 'Abfackeln' war gar die Rede. In Paula Bullings Comic trifft die Hauptfigur, nämlich die Künstlerin selbst, in Begleitung des Asylbewerbers Farid am Bahnhof von Raguhn auf einen 'Herren mit Vokuhila', der den deutschsprechenden, aus Mali stammenden Farid in fehlerhaftem Englisch darüber aufklärt, dass das Französisch seines Heimatlands viel primitiver sei als das europäische Vorbild.
Im Stil eines 'Graphic Reports' schildert die Berlinerin ihre Erlebnisse, teils fiktiv, meist aber mit realem Hintergrund, und reflektiert dabei ihre Rolle als außenstehende Beobachterin, der es verwehrt bleibt, die Welt aus Sicht der Betroffenen wahrzunehmen. Stattdessen zu Wort kommen lässt sie Menschen wie den tatsächlich existierenden Aziz Hadji, einen der Bewohner der Aufnahmestelle in Möhlau, der mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern aus dem Irak flüchtete und nun, im Heim, um seine Identität fürchtet. Als der Familienvater später stirbt, mutmaßlich an den Folgen einer Explosion in einer Imbissbude, in der er womöglich illegal arbeitete, ebbt das öffentliche Interesse bereits nach kurzer Zeit ab, die polizeiliche Ermittlung wird eingestellt. Bis heute ist der Tod von Aziz Hadji nicht aufgeklärt.
Dabei bleiben die Schilderungen der Künstlerin bewusst oberflächlich, eine tiefgreifende Analyse findet nicht statt. Dem Leser wird es schwer gemacht, die Personen zu verstehen - die sperrigen, häufig auf der Ebene der Skizze verweilenden Schwarz-/Weiß-Zeichnungen tragen ihren Teil dazu bei, dass sich der Stoff einer einfachen Lektüre verwehrt. Details und Figuren sind in den Panels oft so undeutlich, dass der Blick kaum länger auf einer Seite innehalten möchte. Dem stehen allerdings kunstvoll gestaltete Doppelseiten gegenüber; etwa die Zeichnungen menschenleerer Asylbewerberheime Sachsen-Anhalts (der Titel 'Land der Frühaufsteher' zitiert das Motto, mit dem das Bundesland für sich wirbt)), die auf ernüchternde Weise den tristen Lebensraum derer zeigen, die sich mehr von ihrer Einreise erhofft hatten als umzäunte Plattenbauten mitten im Nirgendwo.
'Im Land der Frühaufsteher' ist eine Comic-Reportage, die zwar betroffen macht, ihr Thema aber unterkomplex verarbeitet. Da sind die zwar zweifelsohne Not leidenden Flüchtlinge, die jedoch den ausschließlich willkürlich agierenden, 'bösen' Behörden gegenübergestellt werden. Der originär journalistischen Darstellungsform der Reportage wird das Debüt durch seine unausgewogene und einseitige Wiedergabe der Verhältnisse - bei aller künstlerischen Freiheit - nicht gerecht. Nichtsdestotrotz wertvoll bleiben aber die Einblicke, die Bulling liefert. Sie schärfen das Bewusstsein für eine Welt, die zwar im Alltagsleben unsichtbar bleibt, die aber dennoch bedeutsam ist für die vielschichtige Frage, wie eine Gesellschaft mit Ausgestoßenen und Vertriebenen umgehen möchte.
Paula Bulling: Im Land der Frühaufsteher. Avant Verlag, Berlin 2012. 120Seiten, 17,95Euro.
Es ist schwer, sich vorzustellen, wie man als Asylbewerber in Deutschland lebt - zwischen Lebensmittelgutscheinen und Campingkochern, eingezäunt in oftmals verlassenen Militärkasernen, in aller Regel auch räumlich fernab jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe. Die in der Bundesrepublik europaweit einmalige Residenzpflicht, also die Auflage, einen von der zuständigen Behörde festgelegten Bereich nicht zu verlassen, trägt kaum zur Verbesserung der Situation der Flüchtlinge bei. In Paragraph 7, Absatz 5 der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung etwa wird das Ziel formuliert, die 'Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland' zu fördern - ebenfalls alles andere als ein Willkommensgruß.
Die konkreten Auswirkungen erlebt hat die Berliner Künstlerin Paula Bulling. In ihrem autobiografischen Comic-Debüt 'Im Land der Frühaufsteher' entwirft die 26-Jährige ein düsteres Bild von verschiedenen Asylbewerberheimen Sachsen-Anhalts, porträtiert - man möchte fast sagen: die dortigen 'Insassen', und zeigt den tristen Alltag in der 'ZAst', der Zentralen Aufnahmestelle, mitten in der provinziellen Einöde Möhlaus, einer 2000-Seelen-Stadt im Landkreis Wittenberg. Fragmentarisch wird der Leser in eine Welt der Ausgegrenzten geführt, die einerseits von generellem Misstrauen gegenüber Eindringlingen geprägt ist, andererseits aber auch von der Freude darüber, dass sich jemand für die Gefühle und Wünsche der dort Lebenden interessiert - eine Welt, die im gesellschaftlichen Bewusstsein untergeht, weil sie oftmals unsichtbar bleibt.
Das Leben der Asylbewerber in den häufig räumlich abgelegenen Asylbewerberheimen thematisiert die Comic-Reportage "Im Land der Frühaufsteher".
Was passiert, wenn diese Welt dann doch in die Öffentlichkeit tritt, zeigt das Beispiel der vorpommerschen Stadt Wolgast: Dort stieß die Einrichtung eines Asylbewerberheims im Herbst 2012 auf heftiges Misstrauen in der Bevölkerung, wurde begleitet von Drohungen aus dem rechten Lager, von 'Abfackeln' war gar die Rede. In Paula Bullings Comic trifft die Hauptfigur, nämlich die Künstlerin selbst, in Begleitung des Asylbewerbers Farid am Bahnhof von Raguhn auf einen 'Herren mit Vokuhila', der den deutschsprechenden, aus Mali stammenden Farid in fehlerhaftem Englisch darüber aufklärt, dass das Französisch seines Heimatlands viel primitiver sei als das europäische Vorbild.
Im Stil eines 'Graphic Reports' schildert die Berlinerin ihre Erlebnisse, teils fiktiv, meist aber mit realem Hintergrund, und reflektiert dabei ihre Rolle als außenstehende Beobachterin, der es verwehrt bleibt, die Welt aus Sicht der Betroffenen wahrzunehmen. Stattdessen zu Wort kommen lässt sie Menschen wie den tatsächlich existierenden Aziz Hadji, einen der Bewohner der Aufnahmestelle in Möhlau, der mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern aus dem Irak flüchtete und nun, im Heim, um seine Identität fürchtet. Als der Familienvater später stirbt, mutmaßlich an den Folgen einer Explosion in einer Imbissbude, in der er womöglich illegal arbeitete, ebbt das öffentliche Interesse bereits nach kurzer Zeit ab, die polizeiliche Ermittlung wird eingestellt. Bis heute ist der Tod von Aziz Hadji nicht aufgeklärt.
Dabei bleiben die Schilderungen der Künstlerin bewusst oberflächlich, eine tiefgreifende Analyse findet nicht statt. Dem Leser wird es schwer gemacht, die Personen zu verstehen - die sperrigen, häufig auf der Ebene der Skizze verweilenden Schwarz-/Weiß-Zeichnungen tragen ihren Teil dazu bei, dass sich der Stoff einer einfachen Lektüre verwehrt. Details und Figuren sind in den Panels oft so undeutlich, dass der Blick kaum länger auf einer Seite innehalten möchte. Dem stehen allerdings kunstvoll gestaltete Doppelseiten gegenüber; etwa die Zeichnungen menschenleerer Asylbewerberheime Sachsen-Anhalts (der Titel 'Land der Frühaufsteher' zitiert das Motto, mit dem das Bundesland für sich wirbt)), die auf ernüchternde Weise den tristen Lebensraum derer zeigen, die sich mehr von ihrer Einreise erhofft hatten als umzäunte Plattenbauten mitten im Nirgendwo.
'Im Land der Frühaufsteher' ist eine Comic-Reportage, die zwar betroffen macht, ihr Thema aber unterkomplex verarbeitet. Da sind die zwar zweifelsohne Not leidenden Flüchtlinge, die jedoch den ausschließlich willkürlich agierenden, 'bösen' Behörden gegenübergestellt werden. Der originär journalistischen Darstellungsform der Reportage wird das Debüt durch seine unausgewogene und einseitige Wiedergabe der Verhältnisse - bei aller künstlerischen Freiheit - nicht gerecht. Nichtsdestotrotz wertvoll bleiben aber die Einblicke, die Bulling liefert. Sie schärfen das Bewusstsein für eine Welt, die zwar im Alltagsleben unsichtbar bleibt, die aber dennoch bedeutsam ist für die vielschichtige Frage, wie eine Gesellschaft mit Ausgestoßenen und Vertriebenen umgehen möchte.
Paula Bulling: Im Land der Frühaufsteher. Avant Verlag, Berlin 2012. 120Seiten, 17,95Euro.