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Schlimmer als Krieg

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Kuppler, Schlepper und Schläger bedrohen syrische Flüchtlinge in Ägypten. Ihre Töchter werden zu Freiwild erklärt. Manche würden trotz der Bomben am liebsten nach Hause zurückkehren.

Sie dachte, es könnte nicht schlimmer kommen als in Syrien, die Bomben, der Krieg, aber jetzt will sie nur noch zurück: 'In Ägypten werden wir verkauft', sagt sie. Das Mädchen ist heute 18 Jahre alt, damals war sie 17, als sie ihren Hilferuf auf Video aufnahm. Sie drückt sich an die Wand eines kahlen Zimmers. Sie ist Syrerin, Flüchtling, und damit in den Augen vieler Männer: billig zu haben. Seit sie in Ägypten angekommen sei, drehe sich jedes Gespräch nur um Heirat. 'Wir bekommen nichts mehr zu essen, meinem Vater haben sie Geld angeboten.' Er werde wohl darauf eingehen: 'Unsere Lage ist entsetzlich.'


In Syrien wird mit jungen Mädchen gehandelt

Aufgenommen wurde das Video von einer Menschenrechtsaktivistin in einer der Trabantenwüstenstädte bei Kairo. Hier leben besonders viele Syrer, hier treiben sich Kuppler und Schlepper und ihre Schläger herum, auch Pseudo-Scheichs, die die Familien warnen, die Jungfräulichkeit ihrer minderjährigen Töchter sei unmöglich zu schützen, man müsse sie verheiraten. 'Die Familien werden schon am Flughafen abgefangen', sagt der syrische Bürgerrechtler Ghassim Atassa in Kairo: 'Die Kriminellen geben ihnen anfangs eine mietfreie Wohnung, Essen, Kleidung. Aber wenn die Familie ihre Töchter nicht hergibt, entziehen sie ihnen das Essen, drohen mit Rausschmiss.'

Atassa weiß in Ägypten von mindestens 500 Beschwerden über Zwangsheiraten, 200, so schätzt er, betreffen Minderjährige. Wie nah diese Zahl an der Wirklichkeit ist, ist schwer zu sagen: Viele Familien leben isoliert, die kriminellen Netzwerke sind gewaltbereit. Angebot und Nachfrage werden über informelle Makler geregelt, über Internetseiten, Anzeigen.

Der Ägypter Aschraf el-Masri, Mitte 40, höherer Angestellter einer Ölfirma in Kairo, sucht eine neue Frau über eine Webseite. Die Ehe mit seiner ersten Frau ist nach 20 Jahren und vier Kindern gescheitert. Nun braucht er etwas Neues. Und Flüchtlinge sind billig. Wie viel genau El-Masri für eine syrische Braut zahlen würde, sagt er nicht, aber Atassa, der Bürgerrechtler, spricht von umgerechnet 600 Euro Vermittlungsgebühren pro Heirat. In einem Land, in dem junge Männer bis weit jenseits der Dreißig nicht heiraten, weil sie ihrer Braut keine Wohnung bieten können, sind das Schnäppchenpreise: 'Die Syrerinnen sind geschwächt durch die Umstände. Ihre Flügel sind gebrochen. Sie sind bescheidener', sagt el- Masri. Immerhin: Er sucht keine Kinderbraut und kein Kurzzeitvergnügen, sondern eine Frau fürs Leben. Die neue Wohnung hat er schon eingerichtet. 'Ich helfe den syrischen Frauen und mir selbst', sagt er großzügig.

Arrangierte Ehen sind keine Seltenheit in der arabischen Welt, auch nicht in Ägypten. Aber oft hat die Brautschau unter den Flüchtlingen weniger mit Zukunftsplanung zu tun als mit Menschenhandel. Oder mit Prostitution. In Ägypten etwa dauert die Prozedur einer Eheschließung zwischen einem Ägypter und einer Ausländerin Monate - unter Einbeziehung der Botschaften und zahlreicher Dokumente. Von den geschätzten 250000 syrischen Flüchtlingen in Ägypten sind aber nur 15000 registriert, die Ehen werden meist als Urfi-Ehen geschlossen, mit einem formlosen Vertrag nach islamischem Recht, der leicht wieder geschieden werden kann, manchmal schon nach Tagen. Und Ägypten ist nicht der einzige Markt. In Jordanien, in Libanon, im Irak werden Syrerinnen und ihre Familien unter Druck gesetzt. In jordanischen Flüchtlingslagern traten einige der Kuppler offenbar als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen auf.

Oft leben die Auftraggeber weit weg: Saudi-Arabien gilt als eines der wichtigsten Zielländer, auch Scheichs aus Frankreich sollen Interesse an der Vermittlung bekundet haben, heißt es. Natürlich aus rein humanitären Motiven.

Bereits vor Monaten warnten die Vereinten Nationen, dass die meisten Syrerinnen nicht freiwillig heirateten. Inzwischen leben mehr als eine Million Syrer im Ausland. Weder Präsident Baschar al-Assad noch die Aufständischen können den Krieg gewinnen, weite Teile des Landes sind kaum noch bewohnbar. Schlimmstenfalls dauert der Konflikt noch Jahre, mit mehr Zerstörung - und mehr Flüchtlingen. Mehr Flüchtlinge aber dürften neue Begehrlichkeiten wecken. Die junge Syrerin aus dem Video hat sich entschieden: 'Ich kehre lieber in mein Land zurück, als meine Ehre in den Dreck ziehen zu lassen.'

Am anderen Ufer

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Jahrzehntelang lag Tanger im Dornröschenschlaf. Nun hat es sich zu Marokkos zweitwichtigstem Wirtschaftszentrum entwickelt. Besucher erleben hier den klassischen Orient. Und ein Land im Umbruch.

Das Café Hafa ist ein Ort, an dem es keine Zeit zu geben scheint. Zur Innenstadt von Tanger sind es wenige Schritte durch verwinkelte Gassen, doch auf den Terrassen des Cafés sind nur das Meeresrauschen und die Würfel der Pachisi-Spieler zu hören. Studenten, Paare und ein paar Touristen sitzen hier bei frischem Minztee, auf den Mauern schlafen Katzen. Unten, auf der Straße von Gibraltar, ziehen die Schiffe vorbei. Bis auf die Plastikstühle hat sich hier seit 1921, als das Café eröffnet wurde, nicht viel verändert. Seitdem ranken sich die Legenden immer dichter um diesen Ort, an dem schon Paul Bowles, Jack Kerouac und die Rolling Stones Musik gehört und Hasch geraucht haben sollen.


Marokko hat mehr zu bieten als Wüste

Jenseits der weiß getünchten Mauern des Café Hafa hat Tanger jedoch ein radikaler Wandel erfasst. Der verruchte alte Hafen wird zu einer schicken Anlegestelle für Yachten umgebaut. Der Bahnhof ist an den Stadtrand verlegt worden, in drei Jahren soll die von den Franzosen gebaute TGV-Verbindung nach Casablanca fertig sein. Am Strand entstehen Fünfsternehotels und überall neue Stadtviertel: Luxusquartiere mit Namen wie City Center, Tanger Hills oder Mirabay. Einfache Arbeiterviertel gibt es im Landesinneren, dort, wo die Stadt immer weiter in Richtung der Industriezone wächst. 300 internationale Firmen haben sich dort in den vergangenen Jahren angesiedelt, darunter ein riesiges Renault-Werk. An der Küste wurden neun Kilometer Strand in kürzester Zeit in den größten Hafen Afrikas umgewandelt.

Tanger hat sich nach Casablanca zu Marokkos zweitwichtigster Wirtschaftsmetropole entwickelt. Absehbar war das nicht - trotz der geostrategisch günstigen Lage zwischen Mittelmeer und Atlantik, 35 Fährminuten von Europa entfernt. Von 1923 bis zur Unabhängigkeit des Landes 1956 war Tanger eine international verwaltete Stadt, geprägt von Partys, Prostitution, Schmuggel und Spionage. Deshalb kamen die Beat-Autoren und später die Hippies. HassanII., der Vater des jetzigen Königs, strafte Tanger mit Verachtung. Sein Sohn MohammedVI. lässt hier im ganz großen Stil planen und bauen. Mindestens 1,2 Millionen Menschen leben heute in der Stadt.

'Tanger früher und heute: Das ist wie Himmel und Hölle - oder andersrum', sagt Hans Tischleder, der in Tanger eine kleine Dependance des Goethe-Instituts leitet. Es ist in einfachen Räumen untergebracht, liegt aber wenige Schritte vom Zentrum der Neustadt entfernt, dem Place de France. Hier steht das Café de Paris, seit fast hundert Jahren ein wichtiger Treffpunkt vieler Künstler. Dort erzählt Hans Tischleder bei einem Glas Schwarztee mit frischer Minze, dem marokkanischen Nationalgetränk, von Umweltverschmutzung und Schwarzbauten - aber auch von neuen Arbeitsplätzen, bewohnbaren Wohnungen, ausländischen Investitionen und Chancen für junge Menschen. Die Deutsch-Kurse in seinem Institut erlebten einen Boom, sagt Tischleder, wenn auch aus anderen Gründen. Die Euro-Krise und mehr deutsche Investoren in Tanger hätten die jungen Leute dazu bewogen, statt Spanisch Deutsch zu lernen: 'Die wollen sich nicht unter die Arbeitslosen in Spanien einreihen und haben gehört, dass es in Deutschland einen Mangel an Fachkräften gibt', so Tischleder.

Der rapide Wandel hat aus Sicht der Einwohner Tangers auch negative Seiten. Der öffentliche Nahverkehr ist völlig unzureichend, jeden Tag bilden sich lange Staus. Während Stadtführer von den schönen neuen Hotels und Ferienanlagen schwärmen, die überall an der Küste entstehen, warnt der Journalist Mohammed Mrini, dass in Marokko die gleichen Fehler gemacht werden wie in Spanien in den Sechziger- und Siebzigerjahren: 'Die Ufer werden verschmutzt und der Wald wird gerodet - aber die Baubranche hat einfach eine starke Lobby.' Tatsächlich scheint die Bucht von Tanger nach dem Vorbild der Costa del Sol oder der Costa Brava entwickelt zu werden.

Bislang gehörte Tanger im Vergleich zu Marrakesch oder Agadir nicht zu den touristischen Hotspots in Marokko - obwohl die Hafenstadt ein interessantes Ziel ist. Wer den klassischen Orient sucht, muss nur durch eines der Stadttore in die Altstadt gehen, die in Tanger einfach nur Medina genannt wird. Gewürze, Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch werden so sinnlich und ungekühlt angeboten, dass der schöne Markt in Europa wohl längst geschlossen worden wäre. Leder- und Kunsthandwerkhändler buhlen um die Gunst der Touristen, ohne dabei allzu aufdringlich zu werden. In der Nähe des Hafens sind vor wenigen Monaten Künstler in eine alte Festungsanlage eingezogen. Jetzt proben hier Gnawa-Musiker und Artisten, während nebenan eine Kunst-Vernissage vorbereitet wird. Gemeinsam haben die Künstler einen Garten auf den alten Mauern angelegt, die bis vor Kurzem noch das Revier von Obdachlosen und Drogensüchtigen waren.

Und es ist längst nicht nur Tanger, das sich verändert. Mit dem arabischen Frühling ist das ganze Land in Bewegung geraten, auch wenn es in Marokko keine Revolution gegen das Regime gegeben hat. Trotzdem wurde hier im revolutionären Frühling 2011 jeden Tag demonstriert, erinnert sich Raschid Essaid, ein Doktorand, der seinen richtigen Namen nicht preisgeben möchte. Schon 2004 habe der König das Familienrecht überarbeitet, doch der Reformprozess sei ins Stocken gekommen. 'Da haben die politischen Parteien, die Zivilgesellschaft und die Jugend Alarm geschlagen', meint Essaid. Der König, dem in Marokko mit viel Respekt begegnet wird, ließ eine neue Verfassung erarbeiten, die schon wenige Monate später per Referendum in Kraft gesetzt wurde. Im November 2011 wurde gewählt - und mit Abdelilah Benkirane und seiner PJD kamen erstmals Islamisten an die Macht.

Die kritische Wochenzeitschrift Telquel hat gerade eine ziemlich vernichtende Bilanz des ersten Regierungsjahrs der Islamisten gezogen. Doch Raschid Essaid sieht das anders: 'Wir haben jetzt eine neue Dynamik', sagt er und mahnt zur Geduld. Für ihn zählt vor allem, dass die politischen Veränderungen friedlich erfolgt sind. 'Die Verfassung ist großartig', sagt er, räumt aber ein, dass es Probleme bei der Umsetzung gibt. Das sieht auch der Journalist Mrini so. 'Den Islamisten fehlt die technische Kompetenz, sie sammeln gerade ihre ersten Erfahrungen in der Politik', meint er. Mit großem Interesse beobachten die Marokkaner, was in Ägypten, Tunesien, Libyen oder in Syrien passiert. Ihr Land hat einen anderen Weg eingeschlagen, einen leiseren. Inzwischen überwiege die Überzeugung, dass dies gut für Marokko ist, sagt Mrini. 'Zum Glück hatten wir keine Revolution! Ich will kein Chaos wie in Ägypten.'

Obwohl Marokko politisch stabil ist, konnte es nicht davon profitieren, dass viele Touristen, die nicht nach Ägypten oder Tunesien reisen wollten, neue Ziele gesucht haben. 9,4 Millionen Reisende haben das Land 2012 besucht, wieder ein Rekord. Aber ein deutlich kleinerer als in den Jahren davor. 'Die Touristen machen keinen Unterschied zwischen Ägypten, Tunesien und Marokko', sagt Abdallah Louzgani, Sprecher des marokkanischen Fremdenverkehrsamts in Düsseldorf.

Nur eine Stunde von Tanger entfernt, am Fuß des Rif-Gebirges, liegt Tétouan, die ehemalige Hauptstadt des spanischen Kolonialgebiets. Die verwinkelte Altstadt gehört zum Unesco-Weltkulturerbe, und fliegende Händler verkaufen hier alles, was sich zu Geld machen lässt: Schmuck, Schuhe, Süßes, Einweggeschirr, Käfige mit Tauben, gebrauchte Fernbedienungen, Bügeleisen oder ein altes Fahrrad, das zum Hometrainer umgebaut wurde. Handwerker haben ihre Arbeit halb auf die Straße verlegt, immer wieder gibt eine der engen Gassen den Blick auf die nahen Rif-Berge frei. Wie Tanger erlebt auch Tétouan eine Blütezeit und profitiert vor allem von marokkanischen Touristen, die im Sommer die neuen Ferienstädte bevölkern, die zehn Kilometer weiter direkt am Meer entstanden sind. Bis zur spanischen Enklave Ceuta reiht sich an der Küste eine Urlaubsanlage an die nächste und man verliert leicht das Gefühl dafür, ob man noch in Nordafrika oder schon in Südspanien ist. Vor allem bei Nacht, wenn von Ceuta bis Tanger die Lichter Gibraltars so hell herüberleuchten, als läge Europa nur am anderen Ufer eines überschaubaren Sees.

Der Unbekannte vom Golf

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Senderübernahme, Stellenangebote, Standortsuche: Der arabische Sender al-Dschasira bereitet ein eigenes Programm für die Vereinigten Staaten vor. Dort sind die Pläne des Emirs von Katar ein Politikum.

Seit 1. Januar ist al-Dschasira ein Amerikaner. An diesem Tag kaufte der panarabische Nachrichtensender Ex-Vizepräsident Al Gore und dessen Partnern den erfolglosen linken Kanal Current TV ab, um in den USA ein eigenes Programm zu starten: Al Jazeera America. Es soll in New York und Doha produziert werden. Der Kaufpreis wurde nie offiziell bestätigt, dürfte aber nach Medienberichten bei 500 Millionen Dollar gelegen haben. Wenn das stimmt, ist Al Gore heute 100 Millionen Dollar reicher - sein Anteil an Current lag bei 20 Prozent. Drei Wochen danach schrieb al-Dschasira mehr als 100 Stellen für die Büros in New York, San Francisco und Washington aus, worauf sich 8000 Bewerber gemeldet haben sollen.



Die Vereinigten Staaten bekommen ihr eigenes Programm von al-Dschasira, um zu sehen, was in Katar vor sich geht.

Im Januar war das alles sensationell, jetzt ist es ziemlich ruhig um Al Jazeera America geworden. Der Sender hüllt sich über seine konkreten Pläne in Schweigen, Fragen nach genaueren Informationen werden höflich, aber hinhaltend und letztlich nicht beantwortet. Zum Beispiel ist nicht klar, ob, und wenn ja, wie viele Mitarbeiter tatsächlich eingestellt wurden. 126 Jobangebote stehen seit 28. Januar unverändert auf der Website des englischen Programms von al-Dschasira. Nach einem Bericht des Wall Street Journal prüft das Management einen Umzug in das ehemalige Gebäude der New York Times am Times Square. Das Ergebnis der Prüfung ist noch völlig offen. Al Dschasira hat die CBRE Group, eine globale Spezialfirma für Gewerbeimmobilien, mit der Suche nach einem Standort beauftragt. Heute gibt es nur eine Redaktion in der Nähe der UN an der First Avenue, außerdem wurde eine Behelfsunterkunft im Manhattan Center an der 34. Straße gemietet.

Der Verkauf von Current TV an den Staatssender, der dem Emir von Katar, Scheich Hamad ibn Chalifa Al Thani, gehört, ist in den Vereinigten Staaten bis heute ein Politikum. Noch ist nicht vergessen, wie al-Dschasira nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Videos von al-Qaida ungefiltert sendete. Nach dem Deal mit Al Gore gab es erst einmal ein Missverständnis: Der Kabelbetreiber Time Warner Cable (TWC) kündigte an, das Programm rauszuwerfen, was wie Zensur aussah.

Tatsächlich gibt es das englische Angebot von al-Dschasira aber bereits seit 1.August 2011 auf TWC, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Leute aus Doha nutzen den Platz des spanischen Kanals RISE, der sein eigenes Programm eingestellt hat, und können so zwei Millionen Haushalte im Großraum New York erreichen. Zu sehen ist der Kanal auf Platz 92, was gar nicht schlecht ist, wenn man bedenkt, dass CNN Platz 78 hält und BBC America Platz 106. Verschwunden ist dagegen Current TV, dessen Programm auf einigen kleineren Netzen weiterläuft und in dem es keinerlei Hinweis auf den Eigentümerwechsel gibt. Angeblich wollte sich Time Warner Cable schon früher von Current trennen, weil es zu wenige Zuschauer brachte. Richtig ist allerdings auch, dass die eigentliche Auseinandersetzung ums Kabel noch bevorsteht. Die Investition des Emirs - eine halbe Milliarde Dollar für einen Kabelkanal, dem die Zuschauer davonliefen - hat nur dann Sinn, wenn der Sender in den Kabeln Amerikas verbreitet wird.

Sobald diese Entscheidung ansteht, wird auch der Streit um al-Dschasira wieder aufleben. Dabei geht es immer um die Frage: Wie unabhängig ist der Journalismus von der arabischen Halbinsel ('al-Dschasira' heißt 'die Insel')? Das betrifft durchaus nicht nur die USA. Kritiker berichten, die Regierung Katars nehme immer mehr Einfluss auf die Berichterstattung, oft für die Anliegen der ägyptischen Muslimbruderschaft. Der Deutschland-Korrespondent des Senders, Aktham Suliman, kündigte im vergangenen Oktober, weil er seine Arbeit gefährdet sah. Der israelische Journalist Oren Kessler warf al-Dschasira vor, 'zwei Gesichter' zu haben: die englische Ausgabe als Beispiel von professionellem Journalismus, die arabische als Propagandainstrument.

Der republikanische Kongressabgeordnete Tim Murphy aus Pennsylvania verlangte von der zuständigen Regulierungsbehörde FCC, sie solle untersuchen, ob der Kaufvertrag zwischen Al Gore und al-Dschasira überhaupt rechtens war. Der Sender aus Katar hat allerdings auch Fürsprecher in Washington. 'Man muss nicht übereinstimmen mit den Inhalten von al-Dschasira', sagte Ex-Außenministerin Hillary Clinton. 'Aber man hat das Gefühl, rund um die Uhr richtige Nachrichten zu bekommen und nicht nur eine Million Werbespots und Wortwechsel zwischen Fernsehköpfen und all die anderen Dinge aus unseren Nachrichtensendungen, die nicht besonders informativ sind.' Tatsächlich hat al-Dschasira in den Vereinigten Staaten, zusammen mit dem anderen Nischenanbieter BBC, ein Alleinstellungsmerkmal: In keinem anderen Kanal findet man eine so breite Auslandsberichterstattung.

Aufschlussreich war eine Auseinandersetzung zwischen dem Verkäufer Al Gore und dem liberalen Komödianten Jon Stewart in dessen Daily Show. Stewart nahm Gore, der für seine Kampagne gegen den Klimawandel 2007 den Friedensnobelpreis bekommen hatte, als 'Medienmogul' hoch: 'Was mich verwirrt ist: Kann der Mogul, der Current TV an Katar verkauft, einer auf Erdöl basierenden Wirtschaft, mit dem Aktivisten Al Gore koexistieren? Hätten Sie nicht eine nachhaltigere Lösung finden können, um Ihr Geschäft zu verkaufen?' Worauf Gore antwortete: 'Die haben die qualitativ am höchsten stehende, ausgiebigste und beste Klimaberichterstattung von allen Sendern in der Welt.' Einwand Stewarts: 'Aber das hätten Sie doch mit Current TV auch machen können.' Und Gore: 'Ohne viel Geld wären wir immer alleine gegen die Konkurrenz gestanden.'

Dauer-Daddler

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Ein chinesischer Computerspieler lebt angeblich seit sechs Jahren in einem Internetcafé.

München - Die Symptome der Internet-sucht sind nicht genau zu fassen. Wissenschaftler sprechen etwas schwammig von Kontrollverlust, sozialen Auffälligkeiten und 'psychischer Irritabilität'. Der Fall von Li Meng, einem jungen Chinesen, dürfte jedoch ziemlich eindeutig sein. Wie die Beijing Times berichtet, hat Li Meng sechs Jahre lang in einem Internetcafé in der Stadt Changchun im Nordosten Chinas gelebt. Tagsüber habe er dort geschlafen, nachts am Computer gezockt. Er habe das Café nur verlassen, um Essen zu holen oder ab und an zu duschen. Mit anderen Besuchern habe er nie gesprochen und selbst zum chinesischen Neujahrsfest das Lokal nicht verlassen. Der Zeitungsreporter beschreibt Ming als einen jungen Mann, der schon länger keinen Friseur mehr aufgesucht habe. Um Geld musste sich der onlinesüchtige Chinese in diesen sechs Jahren allerdings nicht sorgen. Der Zeitung sagte er, dass er mit Internetspielen rund 2000 Renminbi (etwa 250 Euro) im Monat verdient habe, ein Viertel davon sei als monatliche Gebühr an den Besitzer des Internetcafés geflossen.



Sechs Jahre lang soll ein Chinese in einem Internetcafe gewohnt haben.

Die Zeitung wurde durch einen Professor, der an der Universität Jilin Psychologie lehrt, auf den Onlinespielsüchtigen aufmerksam. Der Wissenschaftler hat die Geschichte über Li Meng laut Beijing Times an die Öffentlichkeit gebracht, um so auf das zunehmende Problem der Onlinespielesucht aufmerksam zu machen.

Chinas Computerspieleindustrie ist ein boomender Wirtschaftszweig, er wächst schneller als die gesamte Wirtschaft. Allein im ersten Halbjahr 2012 wurden laut Analysten rund 25 Milliarden Renminbi (3,1 Milliarden Euro) umgesetzt. Nach Schätzungen des chinesischen Internet Network Information Center zocken 330 Millionen der rund 1,3 Milliarden Chinesen im Internet, 150 Millionen davon sind jünger als 19 Jahre. Mit der Popularität der Onlinespiele gehen laut Behörden aber große soziale Probleme wie eine steigende Jugendkriminalität einher. Um dem entgegenzuwirken, haben die Behörden beschlossen, dass Wissenschaftler Kriterien entwickeln sollen, um frühzeitig Signale für Onlinespielsucht zu erkennen und präventiv eingreifen zu können. Es gibt in China bereits regelrechte Boot-Camps; Eltern, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen, können dort ihre onlinesüchtigen Kinder hinschicken. Dort soll den Jugendlichen mit militärischem Drill die Abhängigkeit ausgetrieben werden.

Nervensägen und Genies

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Gegen New Yorker Pop-Tristesse hilft nur irrer Lärm aus Europa.

Wenn ich mir allabendlich ein kleines Loch in die Schneedecke hinter der Mehrzweckturnhalle schaufle, um ein wenig das Gras wachsen zu hören, dann dringt regelmäßig an meine kalten Ohren, dass ein paar lieb gewonnene Allgemeinplätze auch nicht mehr das sind, was sie mal waren.



"Einige meiner besten Freunde stammen aus Brooklyn und Bielefeld. Aber die Musik, die Mode, die Kunst, die Galerien, das Straßenbild lassen dann doch zu wünschen übrig."

So murren die Hipster im gefrorenen Boden über Produkte der Apfel-Sekte, sie benutzen dafür sogar Ausdrücke der Fäkalsprache. Was Pop angeht, so sind sich die Maikäferlarven einig, dass der Fusselbart seine besten Tage gesehen hat und ... Moment, halt, stopp! Der Fusselbart? Der Gesichtsflokati für Erstsemester? Dieses untrügliche Signum eines angelesenen und dann unterdrückten Geschlechterbewusstseins? Diese krause Manifestation eines schlechten heterosexuellen Gewissens?

Wenn mir jetzt noch mehr Metaphern einfallen, muss ich mich gar nicht mehr über die Klänge lustig machen, die ein Fusselbärtiger über die In-Ear-Phones via Spotify-Abo an seine tympanic membrane lässt. Falls Sie nicht aus Brooklyn stammen: gemeint ist damit das Trommelfell. Ui, jetzt ist das Wort auch schon gefallen - Brooklyn. Wo man so tolle Sachen kaufen und zum Fusselbart tragen kann. Der Stadtteil, der für Manhattan das ist, was West-Berlin einst für die Bundesrepublik war. Ein toleranter und weltoffener Hort für Nervensägen aus Bielefeld (heute nennt man Bielefelder aber unverständlicherweise 'Schwaben').

Nur um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Einige meiner besten Freunde stammen aus Brooklyn und Bielefeld. Aber die Musik, die Mode, die Kunst, die Galerien, das Straßenbild lassen dann doch zu wünschen übrig, wenn die Adabeis die stets zu wenig vorhandenen Originalgenies in Brooklyn zahlenmäßig ums Hundertfache übertreffen. So ging es einst in San Francisco, dann in Seattle und Chicago, seufz, und jetzt hört man wirklich fast nur noch dieses feinsinnige Bartkratzen und dieses Unverständliche-Texte-Seufzen aus Brooklyn und um Brooklyn herum. Aber technisch so fein produziert, dass man für die Adam Opel-Werbung in Frage kommt, so dass man als Graswachsenhörer gar nicht umhin kann, unter Kreativgesichtspunkten das baldige Ende dieser hippen Wohngegend vorauszusehen.

Nach diesem kräftezehrenden Anlauf darf der Leser natürlich hoffen, nun zu erfahren, in welcher Weltgegend sich die Kreativ-Migranten demnächst niederlassen werden. Diese Information ist also allein schon wegen der zu erwartenden Auswirkungen auf die Immobilienpreise dort kein schlechter Grund, mal wieder Feuilleton zu lesen. Doch hier wird gekniffen, sorry. Dafür aber, als Kompensationsvorschlag, wird ein lautstarkes Gegengift zu den Brooklyn-Bands verabreicht: ein brüllend psychedelischer Lärm aus Europa.

So laut, als sei halb Norwegen eine Bohrinsel auf den Fuß gefallen, als leide ganz Schweden an Hörsturz, als drehten jetzt sogar die Franzosen durch. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Elephant 9 sind ein Trio aus Oslo, das sich einer Musik verschrieben hat, die man am gescheitesten als Mischung aus Deep Purple und dem Mitt-Siebziger Miles Davis beschreibt. Was damals von Kokain und zu vielen männlichen Hormonen befeuert war, klingt aus den Verstärkern dieser Diaspora-Combo heute besser und vitaler, als man um die Kraftentfaltung eines roten Ferrari weiß, aber auch danach, wie man diese wieder drosselt. So regiert hier nicht Größenwahn und Geniekult, sondern ein über Jahre gewachsenes, ebenso tiefes wie lautes Verständnis füreinander und für diese heute so seltsam aus der Zeit gefallenen Musik: 'Atlantis' (Rune Grammofon).

Dasselbe Label bietet dem Berserker Mats Gustavsson eine Heimat für seine Unternehmungen unter dem Namen 'Fire!', die sich gar zu einem Fire!-Orchestra ausgewachsen haben. Dutzende Menschen, die sonst blutrünstige Schwedenkrimis bevölkern, kreieren mit 'Exit!' eine so nicht zu erwartende Gemengelage von Krautrock, Punk-Grobheiten und der Radikalität früher Free-Big-Bands. Allerdings türmt Gustavsson hier nicht nur kraftmeierisch aufeinander, was nicht zusammengehört, sondern weist den Stilelementen klug ihren angemessenen Platz zu.

Ein Meisterwerk! Was man auch vonCaravaggios Album '#2' behaupten kann (La Bouisonne): Das Quartett um den Bassisten Bruno Chevillon versteht es abgeklärt, seine Wim Wenders- und Werner Herzog-Referenzen in glühende Psychedelik-Jams zu verwandeln.Wen es nach diesen Bolzplatzvergnügungen nach subtilstem Flirren verlangt und nach Schwerelosigkeit: das John Abercrombie Quartet bietet dies auf 'Within A Song' (ECM). Noch ein Satz zur Verlässlichkeit des von mir als Orakel befragten Grases: Ich hielt die mit 'Abercrombie' beschrifteten T-Shirts jahrelang für den Beweis dafür, dass des dem Gitarristen John Abercrombie so schlecht nicht gehen kann. Manno!

Kein Geld, nirgends

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Städtische Angestellte, Babysitter aus Bulgarien, Rentner: Die Menschen auf der Insel fürchten um ihre Existenz

Es ist 8.30 Uhr morgens in Nikosia, Tag zwei der Wiederöffnung der Banken. Vor der Bank of Cyprus auf dem zentralen Freiheitsplatz warten gerade mal fünf Leute auf Einlass. Schon am Tag eins war der befürchtete Ansturm ausgeblieben, weshalb Filialleiter Dimitris Antoniou erleichtert ist. 'Wir hatten gestern einen Kunden, der eine Million Euro verloren hat und er hat unseren Angestellten Süßigkeiten mitgebracht', sagt Antoniou.

Gelassen schlendert der Filialleiter am frühen Freitagmorgen über den Platz. Er weiß inzwischen, er muss die Wut der Bür-ger nicht fürchten. Die suchen zwar nun nach den Schuldigen für das Schlamassel, in das sie so plötzlich geraten sind. Dabei richtet sich der Blick aber bereits auf die Politiker des Landes und die oberen Ränge der zwei größten zyprischen Banken: der Laiki-Bank, die nun abgewickelt wird, und der Bank of Cyprus (BoC). Die wird nur 'restrukturiert' - mit dramatischen Folgen. Wer der Laiki vertraut hat, dem bleiben höchstens 100 000 Euro, alles darüber, und seien es Millionen, ist erst einmal weg. Kunden der BoC müssen mit Abschlägen von 40 Prozent oder mehr rechnen.



Am Donnerstag bildeten sich noch Schlangen vor den Banken in Zypern.

Zentralbankchef Panikos Dimitriadis be-schuldigt inzwischen in aller Öffentlichkeit die bis vor fünf Wochen regierenden Kommunisten von Ex-Präsident Dimitris Christofias. Diese hätten nichts gegen die aufziehende Katastrophe getan. Im Gegen-teil: Sie hätten die Laiki-Bank 'neun Mo-nate' lang künstlich am Leben erhalten, bis zur Präsidentenwahl. Der Zentralbankchef steht deshalb nun selbst im Kreuzfeuer. Das Parlament in Nikosia debattierte am Donnerstag über seine sofortige Entlassung. Ein Blick in die Verfassung, die für einen solchen Schritt ein neues Gesetz fordert, verhinderte einen solchen Beschluss.

Unterdessen macht eine Liste bei zypri-schen Zeitungen die Runde. Darauf stehen die Namen von mehr als einem Dutzend Politiker der Linken und der nun regieren-den Konservativen sowie von Vorständen der Banken. Sie alle haben selbst große Kredite erhalten oder für Familienmitglieder gebürgt. In mehreren Fällen sollen die Kredite nicht voll zurückbezahlt worden sein. Der Streit dreht sich nun darum, ob die Prominenz von den Banken besser behandelt wurde als andere Kunden.

Von einer 'Schocktherapie' für Zypern spricht das Staatsfernsehen RIK am Freitag. Und es wirkt, als erlebe das kleine Zypern nun fast alle Stadien der Krise, die das - nach der Einwohnerzahl - zwölfmal grö-ßere Griechenland bereits kennt, nur im Zeitraffer. So hat die Regierung in Nikosia bereits den früheren Richter am Internati-onalen Gerichtshof in Den Haag, Giorgos Pikis, und zwei Ex-Richter des höchsten Gerichtshofs des Landes damit beauftragt, die Verantwortlichen für das Desaster zu finden. Die drei Experten hätten, so das Präsidialamt, freie Hand, alles zu untersuchen, von politischen Entscheidungen bis zu kriminellen Handlungen, von Politikern wie von Bankvorständen.

Aber nicht nur mit der Ursachenfor-schung scheint Zypern sich zu beeilen. Die Folgen des Zusammenbruchs könnten die Bürger der Sonneninsel auch schneller treffen als in Griechenland. Dutzende Städte und Gemeinden hatten ihre Konten bei den beiden einst führenden Geldinstituten. Ob und wann sie ihre Angestellten bezahlen können, ist fraglich. Gleiches gilt für die Universität von Nikosia. Experten rechnen mit einer stark steigenden Arbeitslosigkeit und einer tiefen Rezession.

Zuerst dürften dies die mehr als 100 000 Ausländer zu spüren bekommen, die Zyperns Alltags-Ökonomie am Laufen halten: Die Zimmermädchen aus Bulgarien und Rumänien, die für 20 Euro am Tag arbeiten; die Haushaltshilfen von den Philippinen, die Zyperns Sozialstaat bilden, weil sie auf Kleinkinder und Großeltern aufpassen. Dazu Inder und Pakistaner, auf Baustellen und in der Landwirtschaft. Viele dieser Jobs sind schlecht bezahlt. 'Fünf Jahre arbeitet mein Mann hier in derselben Firma, er hat seitdem nur 40 Euro Gehaltserhöhung bekommen', klagt eine Rumänin, die sich selbst mit drei Jobs in Hotels und einem Kiosk über die Runden rettet. 'Was sollen wir jetzt machen?', fragt die Frau: 'Zurückgehen?'

Am Tag eins der Bankenöffnung gibt es auch viele, die sich nicht in die Schlangen vor den Schaltern stellen wollen. Sie sind nur Zuschauer, wie zwei Männer aus Pakistan. Sie achten auf dem Freiheitsplatz darauf, nicht in den Fokus der vielen Fernsehkameras aus aller Welt zu geraten. 'Sie haben uns hier immer schlecht behandelt', sagt der eine. 'Die Zyprer haben ein zu großes Ego', meint der andere. Dann deutet er auf die Wartenden vor den Bankfilialen und sagt: 'Diese Leute meine ich nicht, die können nichts dafür.'

Geduldig in Reihe vor den Banken stehen vor allem Rentner, die keine EC-Karten haben und denen während der fast zwölftägigen Schließung der Institute das Bargeld ausgegangen ist. Direkt vor dem Eingang der Bank of Cyprus bezieht auch ein Mann mit einem selbstgefertigten Plakat Stellung. Es ist eine Anklageschrift. Darauf steht: 'Warum müssen die internationalen Medien so gierig auf Horrorszenarien sein?! Ist anständiger und investigativer Journalismus tot? Solidarität mit den Zyprern. Nicht mit ihren Banken!' Die Kameras richten sich auch kurz auf den stummen Protest, dann schwenken sie wieder auf die Reihen der Rentner. Der Mann mit dem Plakat ist der Leiter des Goethe-Instituts in Nikosia, Björn Luley. Das wissen aber die wenigsten der Umstehenden. Auch nicht jene erregte Zyprerin, die ein Team des Ersten Deutschen Fernsehens anschreit. 'Der Holocaust wird niemals vergessen werden', sagt die Frau, und so wie damals werde Deutschland heute wieder schuldig am Schicksal der Länder des Südens, denen die Kraft zum Atmen genommen werde. Die Frau wiederholt ihren Wutausbruch dann noch einmal - für die Kamera des ARD-Teams.

Viele sagen nun, die Geldwirtschaft habe Zypern dazu verführt, anderes zu vernachlässigen. Im Supermarkt gibt es Birnen aus Südafrika und Zwiebeln aus Holland. 'Wir müssen anfangen, die Schuld bei uns zu suchen', meint ein junger Unternehmer. Seinen Namen sagt er nicht, an seinem Arm zerrt die dreijährige Tochter. Der Mann sagt: 'Wir müssen unser Land neu aufbauen, aber diesmal besser als zuvor.'

Das permanente Provisorium

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Wenn Reichtum nicht mehr in Kamelherden gemessen wird: Ein neues Buch beschäftigt sich mit Flüchtlingslagern und ihrer Bedeutung für sozialen Wandel

Fünfunddreißig Millionen Menschen leben heute außerhalb ihrer Heimat, weil sie oder ihre Vorfahren fliehen mussten. Man nennt sie Migranten, Vertriebene, Exilanten. Die Hälfte dieser Menschen lebt in provisorischen Lagern, an Orten, die sie eines Tages hoffen verlassen zu können. Allerdings hoffen viele Familien darauf bereits in dritter oder vierter Generation. In den palästinensischen Flüchtlingslagern in Jordanien, in den somalischen Camps in Nordkenia - jeden Tag kommen Kinder zur Welt, deren Eltern die Hoffnung aufgegeben haben, sie in ihrer Heimat zur Welt zu bringen.

Viele Flüchtlingslager verlieren ihren provisorischen Charakter und werden zu Orten, die zwar nicht Stadt heißen, aber nach den Gesetzen einer wilden Urbanität funktionieren. Ihre Schulen und Krankenhäuser, ihre Kanalisationssysteme, Kinosäle, Friedhöfe, Straßenkreuzungen, ihre Parkplätze und Müllhalden prägen vorher unbewohnte Gegenden, als hätten sie diese Gegenden nicht in Beschlag genommen, sondern wären aus der Erde gewachsen.



Flüchtlingslager an der Grenze zwischen Mali und Niger

'From Camp to City', ein von dem Architekten Manuel Herz herausgegebenes und im Rahmen eines Forschungsprojekts an der ETH entstandenes Buch (Lars Müller Publishers), untersucht genau das: die Architektur von Flüchtlingslagern. Die Autoren fragen sich: 'Ist es legitim, ein urbanes Rechercheprojekt über Flüchtlingslager durchzuführen? ( . . . ) Ist es nicht beinahe respektlos, urbane Eigenschaften zu untersuchen, wenn es eigentlich um das Schützen und Retten von Menschenleben geht?'

Natürlich ist es da nicht. Aberdie Autoren empfinden dennoch das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen. Sie zitieren etwa den italienischen Philosophen Giorgio Agamben: 'Heute bildet nicht die Stadt das fundamentale biopolitische Paradigma des Westens, sondern das Lager. Das Lager ist ein Raum, der geöffnet wird, wenn der Ausnahmezustand zur Regel wird. Im Lager bekommt der Ausnahmezustand, der ursprünglich eine vorübergehende Aufhebung des Rechtsgrundsatzes bedeutete, eine permanente räumliche Gestaltung.'

Die Autoren listen drei gängige Motive auf, die unsere Wahrnehmung von Camps durchziehen. Lager seien humanitäre Stätten, an denen man Menschenleben rette. Lager seien Kontrollräume, in denen allerlei Institutionen allerlei Aspekte des Flüchtlingsalltags bestimmten. Und: Lager seien Orte des Elends. Die Autoren erlauben sich eine 'alternative Lesart': das Lager als 'Motor der Urbanisierung.'

Das Buch greift eine geografische Region heraus, die Westsahara, und zeichnet in Detail nach, wie ein Volk seit fast vier Jahrzehnten auf der Flucht lebt und sich dabei weiterentwickelt. Die Sahrawis sind eine Gruppe nomadischer Stämme aus dem berberischen Kulturkreis. Sie leben seit mehr als tausend Jahren in Westafrika, auf einem Küstenstreifen zwischen Marokko und Mauretanien, wo die Sahara auf den Atlantik trifft. Im 19. Jahrhundert kamen erst Kolonisatoren aus Spanien, und das Land hieß Spanisch-Sahara. 1975 erkämpften Rebellen der Bewegung Polisario die Unabhängigkeit von Spanien, aber kurz danach besetzte Marokko den Küstenstreifen. Die meisten Sahrawis leben seitdem in Flüchtlingslagern im Westen Algeriens und in dem Teil des Landes, den Polisario zurückerobern konnte.

Die Lager heißen Rabouni, Smara oder El Aaiún, in jedem leben zwischen 15000 und 60000 Menschen. Die meisten von ihnen wohnen nicht mehr in Zelten, sondern in Häusern aus Lehm oder Ziegelstein. Weitgehend ohne Unterstützung der UN haben sich die Sahrawis Krankenhäuser und Schulen gebaut, Fußballfelder und Theaterbühnen - etwas, was die Nomaden vorher nicht hatten. 'Die Lager wurden zu einem Raum, in dem nation building gelernt und umgesetzt werden kann', heißt es in dem Buch. Polisario, eine nationalistische Organisation mit sozialistischen Wurzeln, setzt in den Lagern ihre Gesellschaftsvision um, in der Frauen gleichberechtigt sind und Reichtum nicht mehr in Kamelherden gemessen wird.

Der Staat der Sahrawis heißt SADR, Sahrawi Arabische Demokratische Republik, es gibt einen Präsidenten, einen Premierminister, ein Parlament. Das reich bebilderte Buch zeigt, in welchen Häusern die Bürger dieses Staates leben, wie sie sich fortbewegen, wo sie schlafen und kochen, wo sie beten und Karten spielen, in welchen Gebäuden ihre Minister arbeiten und wo ihre Kinder sich nach der Schule treffen. Diese karge Welt liefert keine Antworten auf Fragen, mit denen sich Stadtsoziologen im Westen beschäftigen, es ist zu weit weg von Gentrifizierung und Gettoisierung. Aber das ist auch gut so.

"Berlin hat nicht so viel anderes"

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Während Berlin über die East Side Gallery streitet, steht für ein Grundstück etwas weiter westlich an der Spree der Plan schon fest: Club-Betreiber Christoph Klenzendorf will den wilden, alten Geist der Hauptstadt bewahren - mit einem eigenen urbanen Dorf

An der Holzmarktstraße soll bald ein neues Viertel entstehen. Eines, gegen das wohl ausnahmsweise keiner demonstrieren wird - weil es ein Gegenentwurf zu Luxuswohntürmen und gesichtsloser Bürobebauung ist. Das 'Holzmarkt'-Quartier soll hier entstehen, ein urbanes Dorf zum Wohnen, Arbeiten und Feiern, mit Gemüsebeeten und begehbaren Dächern. Eine Schweizer Stiftung hat das 18000 Quadratmeter große Gelände gekauft, eine Genossenschaft darf es nun bebauen. Christoph Klenzendorf, einer der Initiatoren des Projekts, erklärt, wie wichtig Erfahrungen aus dem Nachtleben sind und welche Zukunft er und seine Freunde sich für die Hauptstadt wünschen.

SZ: Was wollen Sie mit Ihrem Dorf in der Großstadt anders machen als andere Investoren, Herr Klenzendorf?
Christoph Klenzendorf: Auch uns geht es um Stadtentwicklung und Wirtschaftspolitik, aber auf eine andere Art. Die Pläne, die sich das Investorenprojekt Mediaspree vor 15 Jahren mal für das Gebiet ausgedacht hat, gingen davon aus, dass die Stadt bis 2010 sechs Millionen Einwohner, Wohlstand und eine gut laufende Wirtschaft haben würde. Das ist alles nicht eingetreten. Nun hat sich die Berliner Szene zusammengesetzt und überlegt, welche Zukunft die Stadt als Wirtschaftsstandort überhaupt haben könnte. Die Clubs, Bars, Hoteliers, aber auch die Start-ups machen einen Großteil dieses Standorts aus. Wir wollen am Holzmarkt kulturellen Mehrwert schaffen, und die Stadt so beleben, wie wir es für richtig halten. Kreative Menschen sollen einen Ort mit erschaffen und gestalten.

Für 25.000 Euro kann man Genosse werden. Viel Geld für junge Kreative.
Rund 50 Leute haben bereits gezeichnet. Es ist ein Weg der Verteilung: Diejenigen, die die Mittel haben, unterstützen die Szene und tragen ihren Teil dazu bei, dass sie funktioniert. Es ist nicht mehr so wie in den Neunzigern, wo sich die junge kreative Szene extrem breitmachen konnte, weil der Raum dafür da war. Wenn man die Kulturlandschaft in Berlin in dieser Form erhalten will, muss man sich darum kümmern. Man kann die Veränderung nicht aufhalten, das ist auch nicht das Ziel. Aber man sollte sie so weit lenken, dass auch weiterhin eine vielfältige und gut durchmischte Szene Platz finden kann, nicht nur Hochkultur wie Opernhäuser und Theater. Auch die junge Szene muss gefördert werden.



Über die East Side Gallery wird derzeit viel gestritten.

Zumindest hat die Stadt erkannt, dass sich mit der Szene gut werben lässt.
Total. Der Grund, warum das so gut funktioniert, ist auch ganz einfach: Berlin hat nicht so viel anderes. Wenn es hier eine wirtschaftsstarke Industrie gäbe, würde sich kein Mensch um kleine Kulturbetriebe kümmern. Das arme Berlin hatte und hat aber nach wie vor sehr viel Raum zu bieten, das hat das Ansiedeln einer kreativen Szene möglich gemacht. Eine einzigartige Situation hat sich hier entwickelt, warum sollte man das nicht weiter fördern? Die ganze Welt spricht von diesem Standort, weil er jung und dynamisch ist und weil die Dinge hier anders gemacht werden. Wir kriegen ja mit, welche Gäste zu uns in den Club kommen: von jungen Easyjet-Settern bis zu Kulturdelegationen aus Paris oder Peking, die sich die lebendige Stadt anschauen wollen.

Ist Berlin wirklich so einzigartig?
Orte wie die Bar25 oder auch das Berghain wären in keiner anderen Stadt möglich gewesen. Berlin ist immer noch sehr freizügig und liberal, eine Brutstätte für Kreative. In keiner anderen Stadt in Europa kann man rund um die Uhr so freizügig feiern.

Hat der Hype um die Stadt ihre Szene verändert?
Der Hype fällt uns jetzt ein bisschen auf die Füße. Es passieren Sachen, die ganz schnell falsch verstanden werden können. Da machen dann die Grünen in Kreuzberg mit einer Diskussion mit dem Titel 'Hilfe, die Touris kommen!' auf sich aufmerksam. Dabei ist es ein Zugewinn, dass Berlin so bunt ist. Wir haben im Kater Holzig viele Gäste, die den ganzen Sommer da sind und die Stadt mitbeleben. Musiker, die bei uns spielen, die mit Freunden in der Stadt produzieren. Dass ein großer Austausch an Ideen und Vorstellungen entsteht, macht die Stadt lebendig und vielfältig.

Also nichts Neues im Nachtleben?
Die Feierszene verändert sich schon. Das liegt aber weniger an den Touristen, sondern daran, dass die Leute alle älter werden. Während der letzten zwanzig Jahre war Feiern in Berlin eine Lebenseinstellung. Das geht mittlerweile ein bisschen zurück. Das war auch erst alles kein Business, die Leute haben einfach Bock gehabt, Party zu machen. Und daraus ist dann ein Business entstanden: Die Clubs, aber auch die ganzen Zuliefererfirmen haben sich alle aus dieser Szene entwickelt. Heute sehen die Leute Feiern nicht mehr als den einzigen Lebensinhalt, sondern halt doch nur als eine Party.

Klingt nach Erwachsenwerden.
Die Leute sind älter geworden und beschäftigen sich mit anderen Sachen. Die Ansprüche sind anders. Ich sehe das ja an mir selbst. Ich bin früher nächtelang in irgendwelchen Clubs rumgehangen, aber mittlerweile treffe ich mich gerne mit zwei, drei Freunden in einer guten Cocktailbar und führe intensive Gespräche. Und um sechs Uhr morgens ist der Abend dann auch vorbei. So geht es vielen, besonders wenn man Kinder bekommen hat.

Wie viel Feier-Geist steckt denn noch in Ihrem Dorfprojekt am Holzmarkt?
Das Gefühl dahinter ist das gleiche, es drückt sich nur in einer etwas erwachseneren Form aus. In den Erlebnissen aus dem Nachtleben findet man den Grund, warum wir die Dinge so tun, wie wir sie tun. Wir haben die Erfahrung gemacht, 36 Stunden auf einer Party zu verbringen und gemeinsam Spaß zu haben. Die ganze Szene in Berlin ist dadurch freier, auch von gesellschaftlichen Normen und Zwängen. Das hat bei denen, die dieses Leben mitgemacht haben, das Wertesystem umgekrempelt: Wie man sich in der Arbeitswelt verhält, wie man gemeinsam Sachen bearbeitet, wie man miteinander umgeht. Damals lag der Fokus auf dem Feiern. Jetzt sind wir ein bisschen älter geworden und merken, dass wir uns verändert haben. Alles, was wir aus dieser Zeit mitgenommen haben, wollen wir auf das nächste Level bringen und unser gemeinsames Dorf aufbauen.

Ein Club wird trotzdem dazugehören.
Der Partybetrieb wird den Herzschlag darstellen, aber er ist ein kleinerer Teil geworden. Wir wollen unterschiedliche Sachen bearbeiten: ein Gründerzentrum, ein Studentenwohnheim, ein Research Lab, das sich um Zukunftsfragen wie Ressourcenmanagement kümmert, dazu Ateliers, ein Start-up-Unternehmen, ein Restaurant.

Was passiert, wenn Sie am Ende nicht die geplanten vier Millionen Euro zusammenkriegen, um anzufangen?
Das wäre kein Drama. Dann fangen wir mit weniger an. Es ist kein klassisches Immobilienprojekt, bei dem man eine Planung hat, die man nur umsetzen kann, wenn alles finanziert ist. Wir wollen kleinteilig anfangen und nicht alles in einem Jahr aufbauen. Alles soll im Wandel bleiben und sich ständig neu erfinden. Unsere Hoffnung ist es, dass man in zehn Jahren sagen kann: Die Sache hat hingehauen, das Spreeufer ist mit Anrainern gespickt, die einen Mehrwert zum Quartier beitragen, man kann Kaffee trinken und am Ufer sitzen, aber auch Büros haben sich angesiedelt. Dieser Kiez ist bislang nicht existent. Aber wir haben die Möglichkeit, etwas Buntes und Vielfältiges zu machen.

Die Spur der Dänen

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Der öffentliche Sender eines kleinen nordeuropäischen Landes produziert Serien, die so gut sind wie die großen Vorbilder aus Amerika. Und die dem deutschen Fernsehen nicht gelingen. Warum ist das so? Eine Suche nach Antworten in Kopenhagen

Das Wunder von Dänemark steckt in Pappkartons. Der Flur im Sendergebäude von Kopenhagen ist verlassen, alle Büros sind leer geräumt. An den Wänden hängen noch die Fotos von Borgen, der Serie über die Premierministerin Birgitte und die Journalistin Katrine. Auf den weißen Tafeln im Autorenzimmer, auf denen das Leben von Birgitte und Katrine entworfen wurde, wird mit blauem Filzstift eine neue Serie geschrieben. Das Team der alten gibt es nicht mehr, alle sind ausgezogen. Vor drei Wochen ist die letzte Folge von Borgen, dem kleinen dänischen Wunder, bei DR 1 ausgestrahlt worden.

Borgen ist eine Fernsehserie des dänischen öffentlich-rechtlichen Senders DR, benannt nach dem Sitz des Parlaments, dem Palast Christiansborg in Kopenhagen. Borgen erzählt in 30 Episoden von der ersten Premierministerin des Landes, davon wie Politik gemacht wird, und was Politik mit Menschen macht. Und vom oft bizarren Zusammenspiel mit den Journalisten, die über sie berichten. Borgen ist hervorragendes Fernsehen auf dem Niveau der großen amerikanischen Serien, preisgekrönt (Prix Italia, British Academy Television Awards), in mehr als 60 Länder verkauft. In Deutschland zeigt nach Arte nun auch die ARD von 5. April an die erste Staffel.



Birgitte Nyborg, Hauptperson der Serie "Borgen"

Borgen ist alles, was im deutschen Fernsehen fehlt. Und es kommt aus einem Land mit einer Einwohnerzahl in der Größenordnung des Ruhrgebiets.

Da muss man schon mal nachfragen, und am besten beginnt man damit in jenem Sendergebäude im Kopenhagener Stadtteil Orestad. Auch Camilla Hammerich hat ihre Kisten gepackt, aber sie sitzt noch in ihrem Büro auf jenem Flur, auf dem sie die vergangenen Jahre mit Borgen verbracht hat. Camilla Hammerich ist eine schmale dunkelhaarige Frau, sie sieht ziemlich müde aus, und sie ist es wohl auch. Bei DR war Hammerich die Produzentin von Borgen, sie hat die Serie betreut, sechs Jahre lang. Jetzt hat sie frei und will ein Buch schreiben über ihre Serie und darüber, was die Produktionen von DR so erfolgreich macht. Sie sagt: 'Ich glaube, es gibt drei Geheimnisse der dänischen Fernsehserie.' Aber dazu später.

Denn zunächst sollte man Adam Price kennenlernen, und ihn trifft man in einer Küche, was aber mehr mit seinem zweiten Leben zu tun hat. Adam Price ist der Erfinder und Autor von Borgen und er ist Fernsehkoch in Dänemark, ein ziemlich berühmter. Price betreibt mit seinem Bruder ein Restaurant in Kopenhagen, eines von denen mit offener Küche, sodass man den Köchen beim Kochen zusehen kann.

Adam Price ist ein großer, breiter, sehr blonder Mann, der in seiner Set-Jacke mit dem Schriftzug von Borgen in sein Restaurant kommt. Corporate Design sozusagen. Price hatte für DR schon bei mehreren Serien mitgeschrieben, im Team. Sein erstes eigenes Projekt sollte kein Krimi sein, das Erfolgsgenre von DR - Kommissarin Lund etwa war damals gerade angelaufen, die Serie gewann einen International Emmy, den britischen Bafta und bekam ein US-Remake. Ein Riesending für DR. Price wollte etwas anderes: eine Serie, die seiner Generation, der immer vorgeworfen würde, unpolitisch zu sein, Politik näherbringt.

Adam Price hat sich also die Geschichte von Birgitte Nyborg ausgedacht, der ersten dänischen Premierministerin, im wahren Leben wurde nur bald darauf tatsächlich eine gewählt - Helle Thorning-Schmidt. Und er hat sich eine zweite Ebene ausgedacht, double story nennen sie das bei DR: Jede Geschichte, die wir erzählen, muss auch etwas über die moderne Gesellschaft verraten. Und: Jede Geschichte muss sich in einem möglichst klaren Satz zusammenfassen lassen. Es ist die DNA einer Serie, und die von Borgen ist für Adam Price diese hier: 'Kann man Macht erhalten und sich trotzdem treu blieben?' Birgitte, die Premierministerin, kann es zunächst nicht. Am Ende der ersten Staffel ist sie eine berechnende Machtpolitikerin geworden, und ihr Mann ist ihr auch davongelaufen. Die Garantie eines Happy End gehört nicht zur dänischen Serien-DNA.

In Deutschland handeln Fernsehserien am Abend meist von Mordfällen aller Art, gemischt mit hilfsbereiten Nonnen im ewigen Clinch mit einem Bürgermeister. Am frühen Abend gibt es auch viele Mordfälle, mit dem Unterschied, dass man über die irgendwie lachen soll. Ausnahmen wie Weissensee und Im Angesicht des Verbrechens sind eben genau das: Ausnahmen. Der Serienalltag sind Figuren, die gleich bleiben über Jahre, keine Brüche haben. Adam Price sagt, dass die Deutschen da im Grunde ein anderes Genre bedienen als die Dänen: Wo die Guten immer gut bleiben und die Bösen immer böse, das sei die Seifenoper. So richtig verwunderlich ist es wohl nicht, dass die deutsche Emmy-Quote seit einem Comedy-Preis für Berlin, Berlin 2004 sehr überschaubar geblieben ist.

Die Dänen haben währenddessen Preise gesammelt. Die Geschichte des dänischen Serienwunders beginnt vor etwa 20 Jahren, und - so klein ist Dänemark - sie beginnt in der Familie von Camilla Hammerich, der müden Produzentin. Mitte der 90er-Jahre wurde ihr Bruder Rumle Chef der Spielfilmabteilung beim Sender DR, und Spielfilm hatte dort bislang geheißen, dass man, wirklich, Theaterstücke abfilmte. Sonst gibt es im dänischen Fernsehen hauptsächlich das, was man wohl Infotainment nennen würde: Talks und sonstige Shows, auch Adam Price Kochsendung gehört dazu. Rumle Hammerich jedenfalls wollte etwas Neues probieren, er kam aus der Filmindustrie, engagierte Regisseure von dort fürs Fernsehen. Taxa, eine Serie aus einer Taxizentrale, wurde einer der ersten Straßenfeger immer sonntagabends um acht. 'Und dann', sagt Camilla Hammerich, 'kam Ingolf, der große alte Mann der dänischen Dramaserie.'

Ingolf Gabold meldet sich am Telefon ziemlich aufgekratzt, er ist bei DR im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen, aber von dem, was er bei diesem kleinen Sender geleistet hat, erzählt er ziemlich gerne. Gabolds engster Mitarbeiter flog in die USA und sah sich an, wie die Amerikaner die Krimiserie NYPD Blue machten: mit einem Showrunner, einem Drehbuchautor, der alle Fäden in der Hand hält. Einem hervorragenden Skriptschreiber, der Regisseuren und Autoren sagt, wie die ganze Serie aussehen muss. Das wollten sie in Dänemark auch. Seitdem bilden sie sich diese Autoren aus. Und das ist das erste Geheimnis.

Das zweite Geheimnis versteht man, wenn man sich die Entstehung von Borgen erzählen lässt. Adam Price wollte mit Camilla Hammerich eine Serie entwickeln. Er schlug also Ingolf Gabold Borgen vor, dann mussten die Senderchefs zustimmen. Die zögerten erst, dann gaben sie grünes Licht. Von DR war außer Hammerich und Gabold dann niemand mehr involviert. Keiner quatschte mit. Man kann sich das kaum vorstellen in Deutschland, wo Scharen von Redakteuren und sonst wie Verantwortlichen an Projekten sitzen. Und alle Angst haben, etwas falsch zu machen.

Adam Price sagt, dass DR seinen Künstlern eben vertraue. 'Sie kaufen ein Konzept, das sie überzeugt hat. Dann ist es an dir, es auch umzusetzen. Wenn es nicht gut wird, dann machst du danach eben keine Serie mehr für DR. Auf dem Weg dahin aber hast du alle Freiheiten.'

Alle Freiheiten? Man tritt hierzulande wohl niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass das im deutschen Redaktionsfernsehen auf die wenigsten Formate zutreffen dürfte.

Die schlanken Strukturen bei Borgen haben viel mit Ingolf Gabolds Verständnis vom Fernsehmachen zu tun, wahr ist aber auch, dass der ganze Sender eine schlanke Struktur ist. Zwar zahlen die Dänen, wenn sie einen Fernseher haben, mit 320Euro im Jahr einen höheren Rundfunkbeitrag als die Deutschen. Aber es zahlen natürlich weniger Dänen Gebühren, weshalb DR 470 Millionen Euro im Jahr bekommt, für diverse TV- und Radiosender. Die Deutschen bekommen 7,4 Milliarden, gut das 15-fache. Das dritte Geheimnis ist, dass Ingolf Gabold daraus eine Tugend gemacht hat.

Im deutschen Fernsehen laufen in einer guten Woche fünf, sechs neue Fernsehfilme, Tatort und 'Herzkino' am Sonntag, der ZDF-Fernsehfilm am Montag und einer in der ARD am Mittwoch, freitags Weltflucht aus dem Hause Degeto, samstags Krimis. In Dänemark gibt es zwei Serien pro Jahr, zehn Folgen im Frühjahr, zehn im Herbst. Sonst nichts. Keine Fernsehfilme, weil Ingolf Gabold glaubte, dass man mit Serien das Publikum bei der Stange hält. Und weil man für das wenige Geld, das Gabold oft mithilfe von Ko-Produzenten (auch aus Deutschland) zusammensuchte, mehr kriegt als bei zehn einzelnen Filmen.

Das soll jetzt nicht heißen, dass auch ARD und ZDF nur noch an 20 Sonntagen im Jahr neue Filme zeigen sollten. Ein paar Gedanken über Qualität und Quantität kann man sich aber schon machen, wenn man mit Ingolf Gabold spricht. Dass man in Deutschland jede Woche dreimal dieselben Schauspieler sieht, hat natürlich auch mit der schieren Masse der Produktionen zu tun - und damit, dass junge Gute oft nicht zum Zug kommen. Eine deutsche Fernsehwoche ist viel Déjà-vu.

Auch in Dänemark ist das Schauspielerpersonal überschaubar, ein paar Darsteller aus Borgen kennt man schon aus Kommissarin Lund, aber wer es als Schauspieler in eine DR-Serie schafft, der hat es nicht nur in Dänemark geschafft. Birgitte Hjort Sørensen, eine wunderschöne Blondine, die mit dem Fahrrad durch die eisige Kälte zum Gespräch ins Sendergebäude radelt, spielt Katrine Fønsmark, die junge anstrengende Journalistin. Es war ihre erste große Fernsehrolle, davor spielte sie Theater, sang im Musical Chicago die Roxie Hart.

Sie sagt: 'Für einen dänischen Schauspieler ist eine Rolle bei DR eines der ganz großen Ziele.' In Deutschland ist es für einen Schauspieler vor allem dann ein Durchbruch, wenn er es vom Fernsehen ins Kino schafft. In Dänemark macht einen das Fernsehen zum Star. Birgitte Hjort Sørensen dreht gerade einen Miss-Marple-Film für den britischen Sender ITV. Sie sagt, Borgen habe ihr viele Türen geöffnet. Für Adam Price gilt das natürlich auch: Er arbeitet an neuen Serien, eine für DR, über ein britisches Projekt verrät er nicht mehr. Die Geschichte von Borgen ist für sie vorbei. Jetzt muss die nächste kommen.

Im letzten Büro auf dem leeren Flur mit den Bildern der Premierministerin sitzt Jeppe Gjervig Gram, ein Autor aus dem Borgen-Team. Sein Tisch ist nicht geräumt. Jeppe Gjervig Gram schreibt an einer neuen Serie, seiner ersten eigenen. 2015 soll sie zu sehen sein. Follow the money handelt von der Finanzwelt. Nach der Politik hält die jetzt die Fäden in der Hand.

An allen Fronten

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Syrien gilt derzeit als das gefährlichste Land für Journalisten. Jetzt ist der ARD-Reporter Jörg Armbruster angeschossen worden - und es stellt sich die Frage, was Medien in diesem Konflikt noch leisten können


Jörg Armbruster hatte sich auf Syrien gefreut, so seltsam das klingt. Die Reportage über die Kämpfer gegen Präsident Baschar al-Assad sollte Teil einer großen Dokumentation über den 'Neuen Nahen Osten' werden, gründlicher, tiefer als das tägliche Berichterstattungskarussell mit Aufsagern und Nachrichtenschnipseln. So ein Projekt ist ein Privileg, das die ARD ihren prominentesten Ruheständlern einräumt. Für Armbruster war es eine Rückkehr nach kurzer Abwesenheit.



Erst im Dezember hatte er Kairo verlassen. Acht Jahre lang hatte er - mit Unterbrechungen - das ARD-Studio dort geleitet. Er trennte sich nicht leicht. Am Freitag wurde Jörg Armbruster in Aleppo schwer verletzt. Er sei in einem Schusswechsel von Unbekannten angeschossen worden, erklärte der SWR, sein Heimatsender. Die Bild-Zeitung berichtete ohne Quellenangaben, ein Scharfschütze habe von einem Militärstützpunkt das Auto des Teams in der Nähe des Bab al-Hadid, eines Tors in die Altstadt, beschossen. Armbruster wurde von mehreren Schüssen getroffen. Sein ARD-Hörfunkkollege Martin Durm blieb unverletzt, ebenso der Fahrer. Armbruster wurde in Syrien notoperiert, dann - wie so viele schwerverletzte Syrer - in die Türkei gebracht, in Gaziantep weiterbehandelt. Am Montag wurde er dann nach Deutschland ausgeflogen. Sein Zustand sei stabil genug, so der SWR auf Anfrage.

Armbruster war kein Kamikaze-Journalist, kein Abenteurer. Umso mehr stellt sich eine Frage, die so alt ist, wie dieser bewaffnete Konflikt: Wie berichten aus Syrien? Die Organisation Reporter ohne Grenzen erklärte Syrien im vergangenen Jahr zum gefährlichsten Land für Journalisten. 23 Reporter seien seit Beginn des Aufstandes gegen Präsident Assad gestorben, darunter der preisgekrönte New-York-Times-Journalist Anthony Shadid und die Amerikanerin Marie Colvin. Man muss den Superlativ nicht zu wörtlich nehmen: Andere Länder bergen ähnliche Risiken für Reporter, Pakistan oder Somalia etwa, oder Mexiko und Brasilien mit ihren Drogenkriegen. Aber wenige Konfliktgebiete erhalten dieselbe Aufmerksamkeit.

Umso sinnvoller ist eine Diskussion über die Berichterstattung aus einem Land, in dem es immer mehr Fronten, aber kaum noch Klarheit gibt. In Aleppo, wo Armbruster angeschossen wurde, hatten sich aufständische Kämpfer und Regime-Truppen eingegraben, die Offensive der Assad-Gegner war zum Stehen gekommen, die Stadt geteilt. Am Freitag aber sind schwere Kämpfe ausgebrochen und Hunderte Familien geflohen, neue Hinterhalte entstanden, die Übersichtlichkeit war vorbei. Wie so oft. Ein Dorf, das gestern noch als sichere Zuflucht galt, kann am nächsten Tag beschossen werden, eine Straße wird innerhalb von Stunden zur Todeszone. Es ist sehr leicht, am falschen Platz zur falschen Zeit zu sein in Syrien.

70000 Menschen sind gestorben, die einst idealistischen Aufständischen oft paranoid, verroht, von Dschihadisten unterwandert. In Scheich Maksud, einem Ort bei Aleppo, sollen islamistische Kämpfer einen regimetreuen Scheich enthauptet und seinen Kopf auf dem Minarett seiner Moschee aufgehängt haben.

Wer aus Syrien berichtet, trifft überall auf Lügen: über die Anzahl der ausländischen Kämpfer unter den Assad-Gegnern, über Misshandlungen von Regime-Anhängern, über das Ausmaß des konfessionellen Hasses. Die Aufständischen, oft Bauern ohne militärische Ausbildung, misstrauen Reportern und deren Satelliten-Empfängern, die das Regime auf die Spur der Kämpfer bringen können, so glauben sie. Es gehört zum Erbe des Überwachungsstaates, dass viele Syrer in jedem Journalisten einen möglichen Spion sehen.

Die syrische Regierung wiederum vergibt nur selten Visa an ausländische Journalisten, um dann nur einen sehr begrenzten Einblick in ihre Welt zu erlauben. Diejenigen, die inoffiziell über die Grenze aus der Türkei, dem Irak oder Libanon einreisen, sind Damaskus mindestens so verhasst wie die Aufständischen selbst. Fahim Sakr, ein Assad-treuer syrischer Geschäftsmann in Kuwait, hat soeben ein Kopfgeld von umgerechnet 110000 Euro für die Ergreifung von Reportern des arabischen Senders al-Dschasira und des saudischen Kanals al-Arabiya ausgesetzt. Manchmal sind westliche Reporter, darunter der Amerikaner Austin Tice, seit Monaten in den Händen des Regimes.

Aber auch regimetreue Berichterstatter sind Ziele, einige starben bei Anschlägen in Damaskus. Unabhängige Journalisten arbeiten zwischen allen Fronten.

Wie also berichten aus einem Konflikt, in dem selbst der Augenschein immer nur einen winzigen Ausschnitt gibt, aber ohne Augenschein nur die oft zweifelhaften Selbstauskünfte aus Amateurvideos oder Staatspropaganda bleiben? Finanzstarke Sender aus Amerika oder Großbritannien beauftragen inzwischen private Sicherheitsfirmen, die ihre Reporter beraten und begleiten. Aber diese Dienste kosten Tausende Dollar am Tag. Und es ist sehr die Frage, ob ein halbes Dutzend Bewaffneter bei der Begegnung mit überreizten syrischen Kämpfern mehr Sicherheit schafft oder die Eskalationsgefahr eher steigert.

Andere Medien, auch öffentlich-rechtliche Sender, gehen manchmal den umgekehrten Weg, und wenn es schlecht läuft, kann der Angriff auf Jörg Armbruster dafür auch noch ein Argument sein. Sie schützen ihre eigenen Leute und kaufen Beiträge von freien Journalisten, die auf eigenes Risiko nach Syrien reisen, oft ohne Mindestausrüstung wie Schutzweste und Helm, ohne Sprachkenntnis, ohne landeskundige Mitarbeiter, ohne Versicherung und manchmal ohne Erfahrung in Krisengebieten. Kriege sind Karrierebeschleuniger, gerade für Journalisten und Fotografen. Und das Outsourcing des Risikos ermuntert Einsteiger zu längeren Aufenthalten und waghalsigeren Einsätzen.

Die britische Sunday Times, die Zeitung der 2011 in Homs getöteten Reporterin Marie Colvin, entschied sich zu einem radikalen Schritt: Die Zeitung vergibt keine Aufträge mehr an freie Journalisten in Syrien. Es sei keine finanzielle Entscheidung, sondern eine moralische, erklärte das Blatt. 'Wir wollen kein weiteres Blutvergießen.' Andere Medien, auch die SZ, halten es ähnlich: Sie schicken eigene Redakteure, die Gefahr und Ertrag abwägen. Ein Risiko, das zeigt der Fall Armbruster, bleibt.

Kunst fürs Archiv

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Beim federleichten 9:2 über den HSV brilliert der FC Bayern in der Offensive - trotz des nahenden Termins mit Juventus Turin. Die Münchner wissen allerdings nur zu genau: Gegen Italiens Tabellenführer entscheidet die Defensive


München - Neun Tore in einem Spiel, eines schöner als das andere, doch was zählen die als Massenware erstellten Kunstwerke nur kurze Zeit später? Wenig bis nichts, das ist die traurige Nachricht an alle Liebhaber des Augenblicks - nach dem sagenhaften, federleichten, aberwitzigen und in jedem Fall denkwürdigen 9:2 (5:0) des FC Bayern München gegen einen sogenannten Hamburger Sportverein.



Da ist ja nicht nur der ewig grummelnde Sportvorstand Matthias Sammer gewesen, der am Samstagabend in der Münchner Arena jedem, der es womöglich wissen mochte, ausführlich mitteilte, er sei gar 'kein Mahner' und 'gehe auch nicht zum Lachen in den Keller' - um umgehend anzumahnen und ohne ein Lächeln festzustellen, dass das mit den zwei Gegentoren gar nicht gehe. Auch Jupp Heynckes überging das Preisschießen gegen den HSV bereits am Ostermontag kühl wie ein Profi, und sein Blick verfinsterte sich sogar, als auch er auf die beiden Hamburger Tore angesprochen wurde. 'Ich hab" mich nicht ganz so freuen können, weil mich das ärgert', berichtete der Trainer, 'und das habe ich der Mannschaft auch gesagt.'

So ist das wohl im Fußball, speziell in München: Genießen ist nicht erwünscht. Juventus Turin tritt ja schon diesen Dienstag an zum ersten Duell um den Einzug ins Halbfinale der Champions League, und so wird ein Neunzwei in Windeseile archiviert. Als würde eine Enttäuschung gegen Juve die Münchner Bundesliga-Saison aus den Rekordbüchern tilgen.

Man muss das allerdings nicht mitmachen, schon gar nicht, wenn man am Samstag im Stadion saß und den Bayern zusah, wie sie mit Spielfreude den HSV überrannten, ungeachtet des nahenden Termins in der Champions League. Manch einer sah sich sogar entschädigt für viele Stunden mit breiigem Münchner Pragmatismus, mit nervtötendem Kräfte-sparen-Fußball. Nicht anzusehen war das früher häufig in der Liga, wenn der Gegner bald darauf Real oder Inter hieß. Der Mathematiker Ottmar Hitzfeld ist ein Großmeister solcher zäher Übergangsspiele gewesen.

Aber diese Mannschaft ist anders, ihr macht es auch nichts aus, wenn sie am Nachmittag von den Dortmundern ein vielleicht letztes Mal gekitzelt wird, durch deren 2:1 in Stuttgart, mit dem die vorzeitige Feier zum Gewinn der 23. Meisterschaft noch mal verschoben war. Die Mannschaft habe 'halt ihre eigene Party gefeiert', freute sich Vorstand Karl-Heinz Rummenigge nach der Torflut durch Shaqiri, Schweinsteiger, Robben (2), Ribéry und den herausragenden Pizarro (4/siehe Seite30). Dabei handelte sie im Auftrag ihres Trainers, der zwar neben den leicht angeschlagenen Alaba und Gomez (beide gegen Juventus verfügbar) in Müller, Mandzukic, van Buyten und Ribéry weitere mutmaßliche Startelf-Spieler für Dienstag schonte.

Doch als es nach einer Stunde schon 7:0 stand und der HSV in Ermangelung an Organisation und Passion nicht mal die weiße Fahne zu hissen in der Lage war - da schickte Heynckes trotzdem nicht das Geburtstagskind Anatoli Timoschtschuk, 34, in das halbstündige Schaulaufen, sondern die nun gegen Turin geforderte Edelware: Ribéry und Müller. So ein 9:2 werde 'sicher einen Schub geben', lobte Bastian Schweinsteiger den Tatendrang. Von der vorzeitigen Verbuchung des Titels sprach bei den Bayern längst niemand mehr.

Aber nun wird es eben doch so kommen, wie es kommen muss: Dienstag, 20 Uhr 45, wenn der Anpfiff gegen Juventus erklingt, spätestens dann sind all die schönen Bilder des 9:2 passé; die Treffer, der Kombinationseifer und die ziemlich abgedrehten Bewegungen des Präsidenten Uli Hoeneß, der auf dem Oberrang nach jedem Tor mit Tänzchen und Urschrei auf das Herrlichste den Fluch vom Mai 2012 zu vertreiben schien - als er das verlorene Finale gegen Chelsea wohl nur dank der tröstenden Umarmung seiner Gattin Susi überlebte.

Womit die Bayern beim Thema angelangt wären, das sie am Osterwochenende selbst im Torrausch umtrieb. Schon gegen Chelsea segelte ja ein echter Stimmungskiller in Form eines Eckballs von rechts herein, den ein gewisser Didier Drogba zum späten 1:1 verwertete (und damit das Drama aus Verlängerung und Elfmeterschießens erst ermöglichte). Neulich, beim glücklichen 2:1 in Leverkusen, kassierten die Bayern ebenfalls ein Tor nach einer Ecke, wie auch beim um ein Haar als Peinlichkeit beendeten Kick gegen Arsenal (0:2). Und nun eben auch gegen den taumelnden HSV, der ansonsten mit seinen vagen Torannäherungen und Sicherheitsabständen heiteres Gelächter hervorrief. Dante (beim 1:8 von Bruma) und Boateng (2:9 durch Westermann) ließen zwei Kopfbälle ins Netz zu. 'Da müssen wir mehr konzentriert bleiben', räumte Dante ein.

'Wir wissen selbst, dass wir in der Vergangenheit zu viele Gegentore bei Standards kassiert haben', sagte Thomas Müller vor dem Abschlusstraining, in dem 'explizit' die unsauberen Zuordnungen und Laufwege angesprochen werden sollten. Toni Kroos bestätigte ganz allgemein, dass die Partie gegen Juve und das italienische 3-5-2-System eher in der Defensive entschieden werde: 'Da wird es auffallen, wenn einer einen Schritt weniger macht.'

Gegen den HSV fiel das vor allem Sammer auf. Müller und Kroos sind am Montag auf ihn angesprochen worden, auf sein Verdienst an der bisherigen Saison, und wie beide reagierten (Müller: 'Entscheidend ist auf dem Platz'), haben sie einerseits zwar die Eindrücke eines anstrengenden Chefmahners bestätigt. Andererseits hat Sammer aber überhaupt kein Problem damit: 'Ich würde gerne eine andere Rolle spielen', sagte er, 'nur wir haben alle Rollen zu besetzen!' Seine ist es, sauer zu sein über Gegentore, 'die uns wachrütteln sollten'. Damit auch er eines fernen Tages den schönsten Augenblick genießen kann.

Diktatur der Perfektion

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Bisher analysierte die Internet-Kritik Risiken und Folgen - jetzt greift sie die digitale Ideologie an


Wer das Internet kritisiert, ist ein Kulturpessimist. Zumindest muss er sich als solcher beschimpfen lassen, und es ist nicht leicht, diesen Vorwurf zu entkräften. Zum einen, weil die digitale Infrastruktur eine allgegenwärtige Tatsache des Lebens im 21. Jahrhundert ist. Natürlich wird niemand die technologische Entwicklung aufhalten oder gar rückgängig machen. Zum anderen gelten digitale Technologien als Beschleuniger unzähliger positiver Entwicklungen, egal ob es die politischen Befreiungsbewegungen des arabischen Frühlings, der Anstieg des globalen Lebensstandards, oder die Optimierung des Gesundheitswesens, der Bildung und des Handels sind. Die Kehrseiten digitaler Technologie gelten als vergleichsweise harmlos. Das Internet produziert ja weder Treibhausgase, noch radioaktiven Abfall.



Der Mangel an kritischen Stimmen hat aber vor allem einen intellektuellen Grund, denn die Kritik am Internet hatte bisher einen Schwachpunkt. Fast alle Texte beschränkten sich auf eine Analyse der Risiken und Nebenwirkungen. Ein Großteil dieser Abhandlungen waren wissenschaftlich fundierte Grundlagentexte. Nicholas Carrs 'The Shallows' und Frank Schirrmachers 'Payback' führten den Beweis für den intellektuellen Sinkflug der digitalisierten Gesellschaft mit den Erkenntnissen der Hirnforschung. Jaron Laniers Essay 'Digital Maoism' untersuchte die destruktive Macht der digitalen Masse mit dem Furor der Politikwissenschaft. Sherry Turkle erforschte in ihrem Buch 'Alone Together' die Vereinsamung in den sozialen Netzwerken mit Hilfe der Soziologie. Jonathan Zittrain erklärte die gesellschaftlichen Gefahren in 'The Future of the Internet' mittels technischer Details.

Jede dieser Kritiken konnte man aber gerade deswegen so leicht als Kulturpessimismus entkräften, weil die digitalen Technologien trotz der rasanten Fortschritte immer noch am Anfang stehen. Für jedes Problem, so die vorherrschende Meinung, wird es eine Lösung geben. Genau an diesem Punkt setzt nun der Kulturkritiker Evgeny Morozov mit seinem neuen Buch an.

Der Titel 'To Save Everything, Click Here: The Folly of Technological Solutionism' (Um alles zu retten, klicken Sie hier: der Aberwitz des technologischen Lösungsdogmas) klingt viel zu burschikos. Morozov liefert mit seinem Buch nämlich die lange überfällige Ideologiekritik der digitalen Kultur. Sein 'Solutionism' ist eine Diktatur der Perfektion, die er im Zentrum der digitalen Kultur, dem Silicon Valley, verortet. Und es gibt wahrscheinlich keinen Autor, der sich dafür so eignet wie er. Denn mindestens so wichtig, wie seine akademische Brillanz und sein scharfer Intellekt, ist seine Biografie.

Seine Karriere ist zunächst einmal beeindruckend. 1984 im weißrussischen Salihorsk geboren, ging er nach der Schule mit einem Stipendium von George Soros Open Society Institute an die American University in Bulgaria. Nach einer kurzen Zeit in Berlin zog er in die USA, wo er zuerst an der Georgetown University arbeitete, bevor er 2010 als Fellow der New America Foundation an die Stanford University ging. Neben seiner akademischen Arbeit schrieb er für Zeitungen und Zeitschriften wie New York Times, The Economist, Wall Street Journal und das London Review of Books.

Der Schlüssel zu seiner Arbeit sind jedoch nicht nur seine Bildung und seine frühen Erfolge, sondern die Tatsache, dass er nach einer Kindheit und Jugend im Totalitarismus der Sowjetunion und Lukaschenkos Weißrussland im Zentrum der digitalen Euphorie gelandet ist. Kaum ein Vertreter der digitalen Elite (und zu der zählt er trotz seines jugendlichen Alters und seiner scharfen Kritik seit nun schon gut vier Jahren) hat einen so zielsicheren Instinkt für die ideologischen und totalitären Strömungen der digitalen Welt. Als Kind einer Welt voller Dogmen, Zwänge und Repressalien versetzen ihn die Allgemeingültigkeits-Ansprüche und Heilsversprechen der digitalen Industrie und ihrer Propheten regelmäßig in publizistische Panikzustände.

Da schleicht sich schon mal ein paranoider Gedankengang ein. Wenn er in seinem Buch zum Beispiel von neuen Computersystemen erzählt, die das Kochen mit Hilfe von Kameras und Datenbanken perfektionieren. Das bringe die Gefahr, dass jedes Schnitzelbraten einen Datensatz erzeugt, den zunächst die Industrie für ihre Zwecke nutzt, den aber auch Versicherungsgesellschaften auswerten könnten, um dann die Krankenversichungsraten den Essgewohnheiten des Schnitzelbraters anzupassen.

Mit solchen Szenarien schließt er an sein erstes Buch 'The Net Delusion' an. Da warnte er im vergangenen Jahr, dass jede Diktatur das Internet noch viel effizienter für die Unterdrückung nutzen kann, als jede Volksbewegung für die Befreiung. Seine Kritik an den leeren Versprechungen von den digitalen Medien als Motor der demokratischen Befreiung war umfassend und prophetisch. Und auch wenn sie noch nach dem bekannten Muster der Risiko- und Nebenwirkungs-Analyse funktionierte, zeigten ihm die Reaktionen erstmals, wie undifferenziert der Optimismus der digitalen Welt sein konnte.

'To Save Everything, Click Here' benennt nun die ideologischen Verhärtungen der digitalen Kultur mit ungewohnter Schärfe. Mit seinem 'Solutionism' definiert Morozov den Drang des Silicone Valley, Probleme zu finden oder zu erfinden, und dann die sauberen technologischen Lösungen dafür zu liefern. 'Eine App für jedes Problem'. Das beschreibt er als ähnlich gefährliche Zwangsjacke, wie die Versuche des 20. Jahrhunderts, den Unzulänglichkeiten der Menschheit mit Planungsmodellen beizukommen. Und er sieht sich da in einer langen Tradition der Kritik.

'Auch wenn das Wort ,Solutionism" noch nicht verwendet wurde, haben viele wichtige Denker seine Defizite schon angesprochen', schreibt er. 'Ich denke da besonders an Ivan Illichs Protest gegen die hocheffizienten aber unmenschlichen Systeme professioneller Bildung und Medizin, Jane Jacobs Angriffe gegen die Arroganz der Städteplaner, Michael Oakeshotts Rebellion gegen Rationalisten aller Art, Hans Jonas Ungeduld mit den kalten Bequemlichkeiten der Kybernetik.'

Schlagworte wie 'Openness' (die inzwischen obligatorische Transparenz), 'Disruption' (die Zerstörung von Konventionen), 'Social' (die Pflicht der Vernetzung) und 'Quantified Self' (die ständige elektronische Selbstbeobachtung) sind für ihn nicht mehr als hohle Formeln einer Industrie, die nichts anderes versucht, als das Leben, die Gesellschaft und die Institutionen mit ihren Mitteln zu homogenisieren. Diese Homogenisierung beruhe aber auf einem perfektionistischen Weltbild, das die Realität der Utopie opfern will. Und wie in jeder Ideologie, duldet der 'Solutionism' keine Abweichler. Das Unfertige, Unperfekte, das Zufällige und Unkontrollierbare, das Kultur und Politik bestimmt, hat keinen Platz mehr. Doch wer will sich schon vorwerfen lassen, dass er nicht daran interessiert ist, die Welt zu verbessern?

Was Morozov kritisiert, ist natürlich im Kern die Methodik der Wissenschaft und des Ingenieurwesens. Die Mechanismen aber, die Fortschritt und Perfektionswille in der digitalen Kultur zum ideologischen Zwang machen, kennt bisher niemand. Da liefert Morozov mit seinem Buch überfällige Erkenntnisse. Die Folgen der enormen Effizienz, die digitale Technologie schafft, kann man vielleicht schon beobachten. Wie man sie kanalisiert, muss nun die Debatte klären, die er damit anstößt.

'Grüner Rausch' in den eigenen vier Wänden

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Der US-Bundesstaat Colorado plant die Freigabe von Marihuana in kleinen Mengen - doch das stößt in Washington auf erhebliche Bedenken


  In der Vitrine liegt alles, was die Kunden betört. Zitronen-Bonbon, Tinktur mit Orangen- und Agave-Geschmack, Käsekuchen und Schokokekse, Cannabis-Kaugummi, Joints. Das ist das Zeugs, mit dem 'Good Meds', die alternative Klein-Apotheke in Lakewood, Colorado, redlich ihr Geld verdient. Alles geht, bisher jedenfalls, streng nach ärztlicher Vorschrift über den Ladentisch: Die Kunden in der Kleinstadt am Fuß der Rocky Mountains müssen ein Rezept vorlegen, wollen sie ihre Miniration Marihuana zur medizinischen Behandlung ergattern. Doch längst rüstet sich 'Good Meds' fürs große Geschäft. Colorados Bürger haben per Volksentscheid die Legalisierung von Hanfprodukten verfügt: Demnächst solle jedermann 'high' sein dürfen in Amerikas Westen.



Schon geht das Wort vom 'Green Rush' um, vom 'Grünen Rausch' also, der Colorados Wirtschaft ähnlich beflügeln möge wie einst der legendäre 'Gold Rush' Kalifornien reich machte. Von 186 Millionen Umsatz im Jahr 2011 auf bis zu einer Milliarde Dollar 2014 könne der Marihuana-Markt allein in Colorado expandieren, heißt es, wenn der Staat nächstes Jahr die Geschäfte mit der sanften Droge freigebe. Unverhohlen verheißen Investment-Berater Anlegern, allein der Absatz medizinischen Marihuanas werde in den Vereinigten Staaten bis 2016 von derzeit 17 auf 29 Milliarden Dollar wuchern.

Merkwürdig ist nur, dass mutmaßliche Profiteure wie Kristie Kerry, die Managerin von 'Good Meds' in Lakewood, sich so gar nicht berauschen mögen an den vermeintlich blühenden Aussichten. Zwar hat Kerrys Kleinbetrieb viel Geld investiert in neue, hochmoderne Gewächshäuser; dort sprießen, von Speziallampen bestrahlt und von Luftbefeuchtern verwöhnt, mehr Cannabis-Pflanzen denn je. Aber die 35-jährige Chefin traut dem Gerede vom heraufziehenden Boom nicht. Sie weiß: Uncle Sam, die mächtige Regierung im fernen Washington, kann alle Träume der 500 Cannabis-Betriebe im Staat zerstören, per Federstrich, und mit Razzien.

Denn Colorados Drang zur Freigabe von Kraut und Drogen-Drops widerspricht Amerikas Bundesgesetzen. Zwar zaudern Barack Obama und sein Justizminister Eric Holder seit Monaten, ob sie gegen den 'Green Rush' vorgehen wollen. Aber wenn die beiden Herren es so wollen, könnten schon morgen FBI und DEA - die Kriminalisten und Rauschgiftermittler der Nation - bei 'Good Meds' in der Ladentür stehen und alle Ware beschlagnahmen. Schon jetzt muss der Laden sämtliche Verkäufe in bar abwickeln und all die Dollarscheine in großen, mit Bolzen im Fußboden gesicherten Kübeln verwahren: Aus Angst vor Washingtons Rache verweigern die Banken der Branche Konto und Kredit. 'Wer von uns das Glück hat, noch Girokonten zu besitzen, der hütet die mit seinem Leben', hat Kristi Kerry der Washington Post anvertraut. Den Wirbel, der jetzt über ihr hereinbricht, habe sie stets gefürchtet, weshalb sie im Herbst bei der Volksabstimmung sogar gegen ihre Überzeugung und gegen 'Proposition 64' votiert habe. Also gegen den Freiverkauf von bis zu einer Unze Marihuana (28,5 Gramm) für jedermann.

Am 6. November 2012 half Colorado mit, Barack Obama vier weitere Jahre im Weißen Haus zu sichern. Zugleich stimmten 54 Prozent der Bürger (und 80 Prozent der Jungwähler unter 30 Jahren) für die Freigabe des Kleinkonsums von Marihuana. Der Genuss von Cannabis solle spätestens von 2014 an ähnlich toleriert, gesetzlich gezügelt und besteuert werden wie Bier, Wein oder Whiskey: Kein Schmauch in der Öffentlichkeit - aber freies Kiffen in den eigenen vier Wänden. Mittlerweile öffnen überall im Staat private Clubs ihre Pforten, wo Gleichgesinnte zu Reggae oder besinnlicher Musik rauchen oder potente Kekse knabbern können.

Absurdistan in Amerika: Ausgerechnet Barack Obama, der Triumphator und Held jenes 6. Novembers, ist nun die größte Bedrohung für Colorados Rauschfreunde. Zwar hat der Präsident neulich in einem Interview angedeutet, seine Staatsanwälte und Bundespolizisten hätten weitaus Wichtigeres zu tun 'als Drogenverbraucher in einem Staat zu verfolgen der dies für legal erklärt hat'. Derweil versicherte sein getreuer Minister Holder bei einer Anhörung im Senat, seine Experten prüften weiterhin die Rechtslage. Beiden Männern sitzt nicht nur die republikanische Opposition im Nacken, die schon jetzt beklagt, die Regierung ignoriere ihre eigenen Gesetze. Acht ehemalige Direktoren von Washingtons Drogenbekämpfungs-Behörde DEA riefen Anfang März in einem Brandbrief dazu auf, die Regierung müsse endlich durchgreifen in Colorado - und neben dem Recht vor allem Amerikas Jugend schützen.

Doch Minister Holder wartet ab. Seine Beamten wollen erst all die lokalen Gesetze studieren, über die dieser Tage Colorados Parlament berät. In vielen Kleingesetzen will der Staat alles regeln: Die Marihuana-Steuer, die in die Landeskasse fließen soll, die Ansprüche an Ausbildung und Leumund der Joint-Verkäufer, ja sogar die Kontrolle der Hanf-Produktion von Aussaat bis Ernte. Eine Studie über die Erfahrungen beim Verkauf von Marihuana stieß auf allerlei Mängel. Das muss besser werden. Sonst muss Washington zuschlagen. Allen voran die Demokraten, die in Denver die Mehrheit haben in beiden Parlamentskammern, wissen sehr wohl: Je glaubwürdiger sie am Fuße der Rocky Mountains ihre Drogenwirtschaft reglementieren, desto leichter wird Uncle Sam wegschauen. Und fortbleiben.

Wir schauen uns nur mal um

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Sollten Ladeninhaber nicht Eintritt nehmen? Die Leute kommen zwar noch zum Anprobieren in die Geschäfte - aber bestellen dann alles online


  Joachim Bressler sitzt in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg. Die Wohnung war kein Schnäppchen, fast eine halbe Million Euro hat sie gekostet. Bressler hatte geerbt und wollte das Geld gut angelegt wissen. 'Bevor es uns wie den Menschen auf Zypern geht', sagt er und lacht.

Ein Schnäppchen dagegen war die Küche, Induktionsherd von AEG und energiesparender High-Tech-Kühlschrank von Bosch, dem iPhone sei Dank. Und das ging so: In einem Küchengeschäft ließ sich Bressler Geräte zeigen und erklären, dann holte er sein Handy hervor und sah, 'dass mindestens zehn Online-Anbieter viel billiger waren als die Laden-Preise'. Er habe dann gefragt, ob man ihm 'entgegenkomme'. Die Erpressung hat gewirkt. Nach Rücksprache mit dem Chef bot der Verkäufer an: 'Für den Preis kriegen Sie die Sachen auch bei uns.'



Wenn man den Ladenbesitzer anruft, bittet er, dass man den Geschäftsnamen nicht nennt. Warum? 'Ich will nicht, dass dann alle kommen und zu Internetpreisen bei uns kaufen. Die Smartphones sind der Ruin für den Einzelhandel.' Das neue Phänomen hat auch einen Namen: Showrooming. Smartphone-Besitzer vergleichen noch in Geschäften die Preise von Bosch-Herden und Nike-Turnschuhen mit denen von Internet-Discountern und kaufen dann mit ihren Handys - geschnuppert wird also klassisch offline, gekauft online. In den USA sind Kaufhausketten wie 'Best Buy' vor der Billig-Gier längst eingeknickt. Der Elektronikgigant verkauft Computer und Kameras zum Preis, den Kunden online auf ihren Handys finden. Bei 'Walmart' kann man online bestellen, bezahlt und abgeholt werden muss die Ware aber im Laden. So werden Lieferkosten gespart - und die Erfahrung lehrt, dass ein Kunde, ist er erst einmal im Geschäft, vielleicht doch noch etwas anderes kauft.

Johannes Loew kennt die digitalen Schnäppchenjäger, er betreibt in Berlin-Mitte die Boutique 'De La Bru'. 'Die probieren Schuhe an und fotografieren sich mit unseren Taschen, und nach 20 Minuten Beratung sagen sie: Ich denke noch mal nach.' Und kauften den Schuh, die Tasche dann im Internet, wo sie glaubten, dass dort fast immer alles günstiger zu haben sei. Er habe auch schon Kunden dabei ertappt, wie sie ihre Handys auf die Strichcodes der Preisschildern hielten. Es gibt inzwischen Applikationen, die zeigen, wo es die gescannte Ware billiger gibt als im Laden.

Johannes Loew scherzt, irgendwann werde er Eintritt nehmen: 'Die Leute müssten dann zehn Euro hinterlegen. Wenn sie was kaufen, wird es natürlich verrechnet mit dem Preis der Ware.'

Immer mehr Geschäftsinhaber klagen über die Smartphone-Kundschaft, die Läden betritt, um anzufassen und anzuprobieren - dann aber die anprobierten Schuhe, Taschen und Hosen im Internet bestellt. 'Dahinter steckt eine Nehmer-Kultur', sagt Loew. 'Die Leute beanspruchen unsere Zeit und plötzlich sagen sie, ach, Sie haben die Tasche nicht in der Farbe Cognac? Und bestellen sie dann im Internet.' Dabei könnte Loew die Tasche auch in der Wunschfarbe bestellen.

'Ohne Scham', sagt er, 'probieren sie an und schauen noch in der Umkleidekabine auf ihren Handys, wo es das Teil billiger gibt.' Loew hat die Preisschilder seiner Schuhe und Kleider im Laden mit einem ladeninternen Strichcode versehen, den nur seine Ladenkasse entziffern kann. Dem Schnäppchenjäger-Trend begegnet er so: Er bietet Designer wie Ellen Eisemann an, deren Kleider nicht online zu haben sind. Und wenn ihm ein Kunde zeigt, dass die 'Cowboysbag' oder der 'Sorel'-Stiefel im Internet billiger zu haben ist, 'dann gehe ich eben noch mal 5 Euro runter'.

Loew schnappt oft frische Luft vor seinem Laden, er beobachtet gerne. In der Straße gibt es einen adidas-Shop, Schuhläden, Taschenläden, Jeansläden. Und jeden Tag sieht er, wie die Boten von DHL Pakete von Zalando bei den Anwohnern abliefern. Er versteht das nicht: 'Wieso gehen die Anwohner nicht die paar Treppen runter und kaufen hier bei uns ein, in ihrem Kiez?'

Wer sich in Mitte umhört, hört überall dieselbe Klage: 'Gegen die Smartphones kommen wir nicht an', sagt ein Verkäufer im Jeans-Store. Eine Verkäuferin eines Wohnaccessoires-Ladens sagt: 'Manchmal setzen sich Kunden mit ihrem Handy in einen Sessel, schauen, ob es den Sessel online billiger gibt, und wenn ich nicht mit dem Preis runtergehe, gehen die.' Solche Kunden kennt auch Thomas Nitschke, der im Boxhagener Kiez in Friedrichshain die Boutique 'Herr und Frau Nitschke' betreibt. Auch er hat inzwischen nur noch ladeninterne Strichcodes auf seinen Preisschildern, damit die Smartphone-Jäger nicht mit ihrer Scanner-App 'pic2shop' schauen können, ob es den Schuh oder die Jeans aus Japan online billiger gibt.

Es komme immer wieder vor, dass Kunden Sachen anprobieren und ihn fragen: 'Kannst Du mal ein Foto von mir machen, das muss ich meinem Freund zeigen.' Die verließen dann den Laden und sagten, sie könnten sich nicht entscheiden. Dabei, sagt Nitschke, sei die Entscheidung oft schon in der Kabine gefallen, mit dem Blick aufs Handy und Online-Shops. 'Die Natur des Menschen', sagt Nitschke, 'ist nun mal, Jäger zu sein.' Der Nachteil beim Online-Kauf sei doch: 'Da lächelt dich keiner an. Keiner sagt dir, dass das Kleid dir nicht steht.' Was die Jäger antreibt? Ein Wort schießt aus Nitschkes Mund: 'Geiz.'

Die Unternehmensberatung Roland Berger hat gerade eine Studie herausgegeben, ob Online-Geschäfte den Einzelhandel bedrohen. Forscher Björn Bloching sagt: 'Der Kampf zwischen Online- und stationärem Handel ist noch lange nicht entschieden.' Die Läden aber sollten vermehrt auf Haptik setzen, Beratung und bessere Nutzung von Kundendaten. Es sei ein Anreiz für Kunden, wenn sie auf der Internetseite eines Geschäfts lesen, ob ein Artikel im Laden verfügbar ist. 'Das wäre für viele Kunden schon ein starker Besucherimpuls.'

Johannes Loew sagt: 'Die Kunden entscheiden doch, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. In einer, wo sie Online-Händlern wie Zalando ihr Geld geben oder Einzelhändlern.' Von Zuversicht ist Loew nicht erfüllt: 'In 20 Jahren', sagt er, 'gibt es das nicht mehr, bummeln und durch Geschäfte streunen, weil es dann kaum noch Geschäfte gibt, nur noch Online-Handel.'

Risiko des Ruhms

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Die Erinnerung an frühe Heldentaten ist das einzige Monster, das im Pop umso mächtiger ist, je schwächer es wird. Die Strokes, die vor zwölf Jahren den Rock'n'Roll retteten, nehmen es trotzdem noch mal mit ihm auf - und gewinnen


Kurze Rückblende, nur damit klar ist, wie hoch hier immer noch die Fallhöhe ist: Die Strokes haben, darüber ist sich die Geschichte weitgehend einig, 2001 den Rock"n"Roll gerettet. Ja, das ist alle paar Jahre nötig. Das Debüt-Album der Band hieß 'Is This It' und ja, das war es. Elf grandios gute Stücke drahtig-nöliger Rock"n"Roll von fünf drahtigen, nölenden Jungs aus New York City. Und weg vom Fenster war der stumpfe 'Nu Metal' oder was sich damals sonst noch so brachial-breitbeinig am Genre verging.



Also fast wenigstens, gekauft wurde Nu Metal natürlich weiterhin massenhaft. Aber alle, die der Ansicht waren, eine verzerrte elektrische Gitarre müsse anders schlanker, lässiger, rumpeliger klingen als ein Hochdruck-Dampfstrahl-Gerät, bei dem man die Tonhöhe verändern kann - all die hatten die Songs wie 'Last Nite', 'Hard To Explain' oder 'Someday' und eine gute Weile wieder eine beste Band der Welt.
Und wie es sich gehört, hat sich die Band bis heute, bis zum mittlerweile fünften Studio-Album 'Comedown Machine' (RCA) nicht davon erholt. Also der Ruf der Band hat sich nicht erholt, der ist irgendwie ruiniert. Risiko des Ruhms.

Der durchschnittliche Gelegenheitsindierocktrottel will nämlich eigentlich gar nichts Neues von den Strokes hören, das dann aber - 'sorry' - nicht so gut finden wie 'die erste Platte'. Die Erinnerung ist das einzige Monster, das umso mächtiger ist, je schwächer es wird. Die Bescheidwisser wiederum fischen brav alle neuen Einflüsse und Ideen heraus, um dann die künstlerische Unentschiedenheit zu beklagen - und 'wegen der gelungenen Instrumentierung' zähneknirschend doch immerhin dreieinhalb von fünf gereckten Spießer-Däumchen zu vergeben. Oder 6,123456 von zehn Punkten. Alte Profi-Ironiker.

Das ist natürlich alles so großer Unfug, dass man diese Band und besonders das neue Album auch dann unbedingt verteidigen will, wenn man hofft, dass in diesem Jahr noch etwas bessere Platten erscheinen mögen. Weil: Den Strokes selbst geht es doch unüberhörbar wieder ganz ausgezeichnet. Nach allem, was man so hört, waren sie sogar wieder gleichzeitig mit ihrem Sänger Julian Casablancas, dem Fürsten des New York Cool der Nullerjahre, im Studio. Wie schon auf dem vor zwei Jahren erschienenen Vorgänger 'Angles' ist auch diesmal der Synthie-Pop der Achtziger einflussreicher gewesen als der New Yorker Punkrock der frühen Siebziger. Bei der ersten Single 'One Way Trigger' hat das nicht ganz zu Unrecht zu einigen bösen Vergleichen mit A-has soßigem Hochglanz-Hit 'Take On Me' geführt. Aber mal ehrlich: Im Zweifel macht Casablancas verhangene Nölerei doch viel bessere Laune als das Kopfstimmen-Inferno des Originals, das einem das Hirn von innen poliert.

Aber wem 'One Way Trigger' nicht passt, für den wäre ja auch noch 'All The Time' da. Der klassische Strokes-Song des Albums. Und ebenso ein wirklich gut geschriebenes Stück Musik. Wie überhaupt immer etwas zu kurz kommt, das auf einem Strokes-Album weit überdurchschnittlich viele gute Songs zu finden sind. Das ist auch auf den jeweils einhellig gefeierten Meisterwerken der Saison längst nicht immer so zuverlässig der Fall. Mit anderen Worten: Es macht einfach großen Spaß, dieses Album von vorne bis hinten durchzuhören. Trotz oder vielmehr: gerade wegen der sorgfältigen Orientierungslosigkeit von Disco-Schauklern wie 'Welcome To Japan' und Indie-Synthie-Hymnen wie 'Tap Out' oder 'Happy Ending' - ach, 'Comedown Machine' ist doch die Platte für die kommenden Fahrten an den See.

Paragrafen-Klinik

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Mieter, Flüchtlinge, Internet-Geprellte - an immer mehr Hochschulen helfen Jurastudenten Bürgern, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können. So können sie erste Praxiserfahrung sammeln


Eigentlich müsste er langsam mal in die Pötte kommen. Einen Aufsatz zum neuen Mietrecht lesen, das neueste Urteil zum Widerrufsrecht beim Fitnessstudiovertrag - oder sich fragen, warum die Staatsanwaltschaft Beate Zschäpe als Täterin und nicht nur als Gehilfin der Nazi-Morde anklagt - im Examen könnte das alles drankommen. In einem Jahr macht Jurastudent Maximilian Oehl das Erste Staatsexamen. Seine Kommilitonen fangen jetzt an zu lernen, aber der 24-Jährige kümmert sich lieber um sein neues Hobby: Er will in Köln eine Law Clinic für Ausländer- und Asylrecht aufbauen.



Law Clinics sind eine Erfindung aus den USA, auch in Deutschland gibt es immer mehr davon. Das Prinzip ist simpel: Jurastudenten dürfen noch nicht wie ein Anwalt Fälle übernehmen. Bedürftige können sich oft keinen Anwalt leisten. Also beraten Studenten Bedürftige. In den USA sind die Law Clinics fester Teil des Curriculums, die Teilnahme fließt ins Studium ein. In Deutschland sind sie fast noch ein Fremdkörper im System. Dass Nicht-Anwälte juristische Beratung leisten, war in Deutschland bis 2008 weitgehend verboten. Die Nazis hatten per Gesetz festgelegt, dass das niemand ohne Anwaltszulassung darf - damit hinderten sie jüdische Juristen an der Berufsausübung. Erst 2008 wurde dieses Gesetz durch das Rechtsdienstleistungsgesetz ersetzt. Seitdem dürfen Studenten schon vor Ende ihrer Ausbildung in gewissen Grenzen tätig werden.

Maximilian Oehl hatte gezielt nach einem Weg gesucht, sich innerhalb dieser Grenzen zu engagieren: 'Ich fand die Idee cool und habe mich gefragt, was ich als Jurastudent machen kann.' Im Internet war er auf die Law Clinics gestoßen. Über E-Mail-Verteiler lud er andere Interessierte ein, und beim ersten Treffen im Februar waren sie schon ein gutes Dutzend Leute. Als Nächstes wollen sie einen Verein gründen; Maximilian Oehl muss jetzt erstmal herausfinden, was man in so eine Satzung schreibt. Einen Namen haben sie aber schon: 'Refugee Law Clinic Cologne' - so ähnlich wie das bekannteste deutsche Projekt dieser Art aus Gießen.

Die 'Refugee Law Clinic' der Universität Gießen hat gerade ihren fünften Geburtstag gefeiert, für die Kölner ist sie ein Vorbild. Die Gießener werden stets genannt, wenn es um Law Clinics geht. Derzeit arbeiten dort zwölf Studenten mit: Sie beraten Flüchtlinge und Asylsuchende aus einer Erstaufnahmeeinrichtung, meistens Menschen, die vom Asylverfahren keine Ahnung haben. Als Übersetzer springen mehrsprachig aufgewachsene Studenten ein, alles ehrenamtlich. Die größere Herausforderung ist, dass die Studenten das Asylrecht selber erst mal durchdringen müssen - an den meisten Unis wird das Thema bestenfalls als Wahlfach gelehrt.

Die dreistufige Vorbereitung ist anspruchsvoll, schließlich sollen die Hilfesuchenden von dem Angebot der Studenten wirklich profitieren und nicht als Versuchskaninchen herhalten. Wer mitmachen will, muss im Wintersemester eine Theorie-Vorlesung besuchen, in den Ferien als Praktikant etwa in einer Asylrechtskanzlei mitarbeiten und im Sommersemester noch an einer praktischen Übung teilnehmen. Selber beraten dürfen die Studenten erst danach. Jana Gieseking ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gießener Uni und für die Koordination der Law Clinic zuständig. Sie sagt: 'Wer hier nur für den Lebenslauf mitmacht, der kommt gar nicht so weit.'

Für Oehl gibt es zwei Gründe, warum er die Law Clinic gründen will. Der erste ist ein idealistischer: 'Als Jurist hat man die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern.' Gerade das Asylrecht eigne sich gut dafür: 'Die Leute kommen hier an wie im gelobten Land, und sind dann mit der Härte der staatlichen Behörden konfrontiert', sagt er. Zudem interessiere ihn Migration, seit er nach dem Abitur einige Zeit in Ghana verbrachte. Der zweite Grund ist Kritik an der Juristenausbildung; sie ist traditionell ins theorielastige Studium und die zweijährige praktische Ausbildung im Referendariat geteilt. Oehl steckt noch im ersten Teil, ihm fehlt es dort an Praxisbezug. 'Es gibt so viele Leute, die mit Jura hadern und überlegen, abzubrechen', sagt er. 'Man fragt sich ständig: Was mache ich hier eigentlich? Und wozu?'

Weil es vielen Jurastudenten so geht wie ihm, entstehen seit der Rechtsänderung immer mehr Law Clinics. In Hamburg gibt es die 'Media Law Clinic' für Social-Media-Fragen, an der Berliner Humboldt-Universität geht es um Grund- und Menschenrechte. Anderswo helfen Studenten Kommilitonen bei Alltagsproblemen mit dem Vermieter oder bei Ärger mit Einkäufen im Internet. Die Nachfrage dürfte noch zunehmen, wenn sich die Regierung mit ihrem Plan durchsetzt, die Prozesskostenhilfe einzuschränken. Ärmere werden dann mehr auf kostenlose Beratung setzen.

'Ich freue mich über jede weitere Law Clinic', sagt Thilo Marauhn. Er ist Professor für Völkerrecht in Gießen, die Law Clinic ist an seinen Lehrstuhl angedockt. Aber er warnt auch: 'Wenn man das machen will, dann richtig.' Richtig, das heißt: Mit ausreichender Betreuung. 'Man trägt ja Verantwortung den Beratenen gegenüber, gerade das ist es, was man in der Law Clinic lernen kann.' In den USA gebe es häufig Professoren oder Anwälte, die sich hauptberuflich um die Law Clinic kümmern. In Deutschland ist man noch nicht so weit. In Gießen treffen sich die Studenten einmal im Monat mit ihren Betreuern zur 'Supervision' und besprechen dort jeden einzelnen Fall. Auch Maximilian Oehl hat angefangen, nach Partnern zu suchen, nach Anwälten oder Professoren. Allein kann er das Projekt nicht stemmen. 'Für den Anfang könnten wir ja Flüchtlinge bei Behördengängen begleiten, die richtige Beratung kommt dann später. Ich muss das ja selbst alles erst mal lernen.' Das Ganze sei aber jetzt schon attraktiv: 'Man sieht einfach, dass Jura nicht nur Theorie ist, sondern direkt mit dem Leben zu tun hat. Man kann damit unheimlich nützlich sein.'

Kampf den Rebellen, Schutz den Zivilisten

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In Mali haben die Militärausbilder der Europäischen Union ihre Arbeit aufgenommen. Die Armee des Landes müsse 'komplett neu aufgebaut werden', sagt der Leiter der Mission.

In Mali haben am Dienstag Militärausbilder aus der Europäischen Union damit begonnen, das erste von insgesamt vier Bataillonen der staatlichen Armee auszubilden. Diese soll so in die Lage versetzt werden, aus eigener Kraft gegen islamistische Rebellen im Norden des Landes vorzugehen. Unter den rund 550 Mann der EU-Ausbildungstruppe sind 71 Deutsche; neben Kampftechniken und dem Umgang mit Waffen soll es auch Trainingseinheiten zu Themen wie Völkerrecht und Schutz der Zivilbevölkerung geben.


Für die Ausbildung sind zunächst 15 Monate geplant

Kritiker bescheinigen der malischen Armee gerade bei letzteren Punkten großen Nachholbedarf. Laut Informationen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sollen malische Soldaten sieben mutmaßliche Islamisten nahe Timbuktu über drei Wochen festgehalten und gefoltert haben. Berichten zufolge werden Tuareg und Araber seit Monaten immer wieder Opfer von pauschalen Racheakten.

Die EU-Ausbildungsmission ist zunächst für 15 Monate anberaumt, doch bereits jetzt gilt als unwahrscheinlich, dass die Zeit genügen wird. Die malische Armee müsse 'komplett neu aufgebaut werden', sagte der französische General François Lecointre, der die Trainingsmission leitet. Den Behörden des Landes sei 'sehr bewusst', dass Mali als Staat aufgrund des Versagens des Militärs 'beinahe verschwunden war.'

Nach einem Militärputsch im März 2012 hatten islamistische Rebellen das Machtvakuum genutzt, um den Norden Malis in ihre Gewalt zu bringen und der Bevölkerung eine extreme Form der islamischen Gesetzgebung aufzuzwingen. Als die Rebellen im Januar Richtung Süden vorrückten, griff die frühere Kolonialmacht Frankreich militärisch ein. Derzeit befinden sich offiziellen Angaben zufolge etwa 4000 französische Soldaten im Land, zudem 6300 Soldaten aus afrikanischen Ländern.

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière hatte bereits nach einem Besuch in Mali im März angedeutet, dass die EU-Ausbildungsmission länger dauern könnte als die geplanten 15 Monate; die Befriedung des Landes sei eine 'gewaltige Aufgabe, die langen Atem braucht', sagte er. Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sagte am Dienstag im Südwestrundfunk, er rechne damit, dass das westafrikanische Land länger als bisher vorgesehen auf Unterstützung durch EU-Soldaten angewiesen sein werde. Es sei nicht auszuschließen, dass an künftigen Kampfeinsätzen auch deutsche Soldaten beteiligt würden.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, hatte vergangene Woche vorgeschlagen, in Mali eine bis zu 11200 Mann starke UN-Friedenstruppe aufzustellen, flankiert von einer 'parallelen Truppe' für den Anti-Terror-Kampf - eine solche sei angesichts der 'verbleibenden Bedrohung absolut notwendig.'

Nicht nur der Zustand der malischen Armee selbst deutet darauf hin, dass internationale Truppen wohl noch lange in Mali aktiv sein werden - die Situation im Norden des Landes ist nach wie vor alles andere als stabil. Am Samstag hatte an einem Kontrollpunkt des Militärs in der Stadt Timbuktu ein Selbstmordattentäter eine Autobombe gezündet, anschließend drangen etwa ein Dutzend islamistische Kämpfer bis ins Stadtzentrum vor, wo sie sich Gefechte mit französischen und malischen Truppen lieferten. Berichten zufolge starben dabei mindestens ein malischer Soldat und acht islamistische Kämpfer, zudem ein nigerianischer Zivilist, den die Rebellen als menschlichen Schutzschild missbraucht hatten. Ein französischer Soldat wurde verwundet. Anfang Februar hatte Frankreichs Präsident François Hollande die Stadt als 'befreit' erklärt. Bereits vor elf Tagen hatten malische und französische Truppen etwa 30 islamistische Kämpfer daran gehindert, ins Stadtzentrum vorzudringen, bei den Gefechten starben ein malischer Soldat und mehrere Rebellen.

Von Aufatmen und Erleichterung kann daher weder in Timbuktu noch in anderen Gebieten des Nordens nach wie vor keine Rede sein. Der zentrale Markt der Stadt blieb auch nach den Gefechten geschlossen. Viele Bewohner hielten sich in ihren Häusern verschanzt, während Soldaten die Stadt nach versteckten Rebellen durchkämmten.

Alles auf Pump: Die Null-Prozent-Kredite

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Null-Prozent-Kredite verführen die Kunden zum Leichtsinn. Für den Handel und die beteiligten Banken rechnet sich hingegen das Geschäftsmodell.


15 Euro für einen Laptop oder fünf Euro für einen Kaffeeautomaten: Solche Angebote gibt es in der Werbung inzwischen massenweise. Zu zahlen pro Monat, für null Prozent Zinsen. Der Kauf auf Pump ist aus dem deutschen Einzelhandel nicht mehr wegzudenken. Verbraucherschützer sehen darin aber vor allem ein immer wichtiger werdendes Marketingmodell, das für den Kunden Gefahren birgt. Für den Handel und die beteiligten Banken hingegen scheint sich das Geschäft in jedem Fall zu rechnen: Die einen werden ihre Ware sofort los und steigern den Absatz, die anderen bekommen einen neuen Kunden.

Zahlen des Bankenfachverbands zeigen, dass sogenannte Point-of-Sale-Finanzierungen, also direkt im Geschäft abgeschlossene Kreditverträge, bei Elektro- und Haushaltsgeräten, Möbeln sowie Küchen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben. Das Volumen stieg von 2,4 Milliarden Euro im Jahr 2008 bis 2010 um 79 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro. 2012 dürfte die Entwicklung laut dem Verband, der die Interessen der Kreditbanken in Deutschland vertritt, konstant geblieben sein. In diesen Zahlen sind neben den Null-Prozent-Finanzierungen auch solche mit einem bestimmten Zinssatz enthalten. Genaue Zahlen über die Kredite zum Nulltarif hat der Verband nicht erhoben.



Verbraucherschützer warnen vor den Folgen der Null-Prozent-Kredite - denn viele Kreditnehmer leben damit langfristig über ihrem Limit.

Verbraucherschützer beobachten ebenfalls eine Zunahme des zinslosen Kaufs auf Pump, warnen aber auch vor den Folgen. Es bestehe die Gefahr, "dass sich der Kreditnehmer finanziell überschätzt - vor allem wenn er sich die vergleichsweise geringe Rate eigentlich doch nicht leisten kann", sagt Frank Lackmann von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Zudem sei nicht jedes Angebot tatsächlich ohne Zusatzbelastung zu haben. Häufig kämen beispielsweise Gebühren hinzu. Auch würden die Kunden getäuscht. Hinter den null Prozent verschwindet den Verbraucherschützern zufolge allzu rasch der eigentliche Ausgangspreis für das Produkt, der im Vergleich zu anderen Anbietern durchaus höher liegen könnte. Die Experten sehen in der Null-Prozent-Finanzierung daher vor allem ein Marketinginstrument, das Handel wie Banken gleichermaßen nützt. Stephan Moll vom Bankenfachverband sagt: "Die Kosten für Null-Prozent-Finanzierungen teilen Händler und Bank untereinander auf." Insgesamt kämen bei den Point-of-Sale-Finanzierungen alle Beteiligten - Kunden wie Banken und Handel - auf ihre Kosten.

"Was früher die Rabattaktionen waren, sind heute die Null-Prozent-Finanzierungen", sagt Markus Preißner, wissenschaftliche Leiter des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH). Seiner Einschätzung nach kommen die Kreditangebote zum Nulltarif aber nicht bei jedem gleichermaßen an: "Insbesondere ältere Menschen zeigen eine gewisse Zurückhaltung. Das ist einerseits auf eine gewisse Sparmentalität, aber andererseits auch auf den Grundsatz, nur das auszugeben, was man auch tatsächlich hat, zurückzuführen."

Eines ist sicher: Null-Prozent-Finanzierungen nehmen auch bei der Preispräsentation im Laden einen immer größeren Raum ein. "Beim Kunden wird der Eindruck erweckt, er könne quasi ohne Risiko und mit einer kleinen Rate teure Waren kaufen", sagt Verbraucherschützer Lackner. Auch Handelsexperte Preißner äußert Kritik: "Fraglich ist, ob der Verbraucher das wirklich immer so möchte. Es gibt natürlich auch viele Kunden, die ein Produkt gar nicht auf Kreditbasis kaufen möchten und durch eine derartige Präsentation eher abgeschreckt werden."

Auch in den USA sind Null-Prozent-Finanzierungen üblich. So bietet etwa der landesweit größte Elektronikeinzelhändler Best Buy an, dass man sich bei Käufen ab 429 US-Dollar mit der kompletten Bezahlung bis zu anderthalb Jahre Zeit lassen kann. Überschreitet man den Termin jedoch, werden gleich happige Strafzinsen von bis zu 30 Prozent fällig.

Buchrückgabe nach 37 Jahren

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1976 lieh sich ein Berliner Student ein Buch aus, jetzt gab er es der Unibibliothek zurück. Per Post und anonym - denn er hatte Angst vor den hohen Mahngebühren.

Dass ein Student vergisst, ein aus der Unibibliothek ausgeliehenes Buch zurückzubringen, geschieht viele Male jeden Tag. Kann ja mal passieren. Manchmal dauert es allerdings 37 Jahre, bis dem Leser wieder einfällt, dass da doch noch irgendwas war, was erledigt werden musste.

Die Bibliothek des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin hat kürzlich ein anonymer Brief erreicht, zusammen mit einem Gedichtband von Charles Bukowski. Er habe das Buch 1976 ausgeliehen, teilte der Verfasser des Briefes mit, und er wolle es nun wieder zurückgeben. Er tue das lieber anonym, weil er nach eigenen Berechnungen eine Mahngebühr von 13104 Euro erwarte. Das Buch trägt passenderweise den Titel "The Days Run Away Like Wild Horses Over the Hills" - die Tage rennen davon wie Wildpferde über die Hügel.



Fast vier Jahrzehnte hat ein ehemaliger Berliner Student ein Unibuch nicht zurückgegeben. Dafür errechnete er sich selbst Mahngebühren von 13104 Euro - doch so hoch wären die Kosten nicht gewesen.

Warum er die Rückgabe des Buchs fast vier Jahrzehnte lang vergessen habe, das wisse er selbst nicht so genau, schreibt der Mann. Schuld könne die "allgemeine Disziplinlosigkeit" seines damaligen Studentenlebens gewesen sein, vielleicht habe er es damals auch einfach absichtlich behalten. So oder so wolle er den Bukowski-Band nun wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, denn er unterrichte inzwischen selbst amerikanische Literatur und freue sich, dass die Autoren der Beat Generation, denen Bukowski nahestand, nun wieder häufiger beforscht würden.

"Das war ein sehr netter Brief", sagte Julia Mayer, Leiterin der Bibliothek nun der SZ. Zu befürchten hätte der ehemalige Student nichts mehr gehabt. Das Buch wurde in den Achtzigern als verloren deklariert und längst ersetzt; der Name des letzten Ausleihers ging bei der Umstellung von Karteikarten aufs elektronische System verloren. Er hätte laut aktueller Gebührenordnung nach der dritten Mahnung 7,50 Euro Strafe zahlen müssen und bis auf weiteres keine neuen Bücher ausleihen dürfen. Bei einem verlorenen Buch muss man den Wiederbeschaffungswert und 15 Euro Bearbeitungsgebühr zahlen.

Dass ausgerechnet ein Werk von Charles Bukowski der schludrigen Vergesslichkeit anheim gefallen ist, passt übrigens gut. Die Bücher des Autors sind laut einer 1999 vom New York Observer aufgestellten Liste auf Platz eins der meistgestohlenen Exemplare. Auch in der Institutsbibliothek der FU gelten noch weitere zehn von insgesamt 41 Bukowski-Werken im Bestand als vermisst. "Manche sagen, die Bücher selbst rufen danach", sagt Julia Mayer. Schließlich sind Bukowskis Protagonisten - und damit vielleicht auch ein paar seiner Leser - Kleinkriminelle, Säufer, Rebellen und Künstler ohne Geld.

Wieder ein Feuer, wieder diese Angst

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Yusuf Kiziltas sagt, dass er sich mit der Zeit immer mehr als deutscher Staatsbürger gefühlt habe. Dann brannte sein Haus in Köln ab, und seither fühlt er sich von seinen Landsleuten sehr allein gelassen.

Yusuf Kiziltas ist 31 Jahre alt, in Köln geboren und groß geworden. 'Ich habe mich eigentlich immer mehr als Deutscher gefühlt', sagt er. Bis zum vergangenen Samstag. Es war spät am Abend, als ihn ein Nachbar anrief, um zu sagen, dass sein Haus in Flammen stehe. Viel geschlafen hat er nicht seitdem, Yusuf Kiziltas hat sich um seine Mieter gekümmert, hat ihnen Wohnungen besorgt für den Übergang. Die Nachbarn haben viel geholfen, türkische Vereine fragten an, was man tun könne, der Generalkonsul kam vorbei. 'Nur von der Seite der Deutschen hat niemand vorbeigeschaut, das fand ich schon enttäuschend.' Zwei Menschen starben, 26 Bewohner wurden verletzt. Die Stadt schickte keinen Vertreter, nur eine Politesse, die nach dem Unglück ihre Knöllchen schrieb. 'Das wäre in Rodenkirchen ganz anders gewesen', sagt Yusuf Kiziltas. Rodenkirchen ist sehr deutsches und reiches Köln. Höhenberg ist es eher nicht.


Bei dem Brand sind zwei Menschen ums Leben gekommen

Dort hat sich Yusuf Kiziltas vor vier Jahren für das Haus in der Rothenburger Straße entschieden, er hielt es für eine gute Investition, fürs Alter, die Rente. Vernünftig, sehr deutsch. Am Dienstagmorgen nun steht Yusuf Kiziltas. vor seinem versiegelten Haus und kümmert sich um die Deutsch-Türkischen Beziehungen. 'Ich will nicht spekulieren was die Ursache sein könnte', sagt Yusuf Kiziltas. Er habe volles Vertrauen in die deutsche Polizei und Feuerwehr. Er klingt fast wie ein Politiker.

Weil in seinem Haus viele Türken wohnten, war der Brand auch in der Türkei schnell ein Thema. Der türkische Vizeministerpräsident Bekir Bozdag sagte nach dem Brand, die deutschen Behörden machten sich lächerlich, wenn sie 'fünf Minuten nach einem Feuer' die Erklärung verbreiteten, der betreffende Brand habe nichts mit Neonazis zu tun. Die Kölner Staatsanwaltschaft hingegen sagt, sie habe keine Ursache ausgeschlossen und ermittle in alle Richtungen.

Von dem Haus in Höhenberg ist es nicht weit bis zur Keupstraße, wo der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) 2004 eine Nagelbombe gezündet hatte. Die türkischen Bewohner und Händler mussten sich danach jahrelang anhören, dass ein Drogenkrieg oder Clanstreitigkeiten das Motiv für die Tat gewesen seien.

Nach den 'beschämenden und krassen Fehlern' bei den Ermittlungen zur Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU könne eine besonders akribische Spurensuche helfen, verlorenes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zurückzugewinnen, sagte Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. 'Deutsche Bürger mit türkischer Herkunft haben große Angst, weil in den letzten Wochen immer wieder türkische Wohnhäuser mit tödlichem Ausgang brannten oder Moscheen angegriffen wurden.' Die Politik müsse die Ängste ernster nehmen.

Im März waren in Backnang eine türkischstämmige Frau und ihre sieben Kinder gestorben. In der türkischen Presse wurde danach schnell an die Brandanschläge von Mölln und Solingen erinnert.

Das türkische Innenministerium schickte vier Beobachter nach Deutschland. Sie waren wie die deutschen Ermittler der Ansicht, dass ein technischer Defekt möglich gewesen sei. Es stelle sich die Frage, warum es nur in von Türken bewohnten Häusern defekte Stecker gebe, sagte der türkische Vizepremier.

Bewohner des Hauses in Köln berichteten der Polizei davon, dass im Hausflur ein Kinderwagen gestanden und gebrannt habe. Die Leichen eines 30-jährigen Deutsch-Italieners und einer 19-jährigen Kosovarin wurden neben der Haustür gefunden. Die Frau lebte erst seit einigen Wochen im Dachgeschoss, ihr Mietvertrag sollte erst im April beginnen. Die Ermittler versuchen nun zu klären, warum die beiden so kurz vor der Haustür verbrannten. Andere Bewohner retteten sich durch Fenster im Hochparterre oder wurden von der Feuerwehr mit Drehleitern befreit. Am Dienstag beendete die Polizei die Spurensicherung, das Haus wurde wieder frei gegeben.

Tagelang hatte das Haus niemand betreten können, war die Wohnungstür versiegelt. Yusuf Kiziltas hat versucht, seine Nachbarn in Hotels und Pensionen unterzubringen - was nicht klappte, weil ja alle ihre Papiere und das Geld in den Wohnungen hatten. Nur zwei Mal machte die Polizei eine Ausnahme und ließ jemanden hinein. Ein Bewohner durfte seinen Reisepass holen, weil er bald in den Urlaub fährt.

Und am Montagabend durfte Yusuf Kiziltas auch selbst wieder ins Haus. Die Polizisten hatten seine Katze gehört, von der er dachte, sie wäre tot.
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