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Zu viele Abgehängte

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Wenn Politiker etwas versprechen, bleiben sie gern im Ungefähren. Konkrete Ziele zu nennen, kann zum Bumerang werden, wenn das Angestrebte verfehlt wird. Insofern war es schon eine Ausnahme, als vor gut sechs Jahren in Dresden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder die Bildungsrepublik Deutschland ausriefen und sich bis 2015 messbare, anspruchsvolle Ziele setzten. Doch nun steht fest: Ein Teil der bei diesem Bildungsgipfel ausgerufenen Zielmarken lässt sich bis Ende des Jahres nicht mehr erreichen. Dies geht aus einer Untersuchung des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) hervor. In der Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, heißt es: „Die hohen Zahlen der Jugendlichen ohne Schulabschluss und der jungen Menschen ohne Berufsabschluss bleiben ein zentrales Problem in unserem Bildungswesen. Das deutsche Bildungssystem ist – auch im internationalen Vergleich – unterfinanziert.“



Vor sechs Jahren wurden Ziele festgesteckt, die bis 2015 erreicht werden sollten. Nach einer Untersuchung des DGB werden einige Punkte nicht eingehalten werden. Vor allem die hohe Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist ein Problem.

Schon die erste Messlatte erweist sich jetzt als zu hoch: Anders als in Dresden vorgesehen, wird es nicht gelingen, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss bis Ende des Jahres zu halbieren. 2013 verließen 5,7 Prozent der Jugendlichen allgemeinbildende Schulen ohne irgendeinen Abschluss. Das Ziel, die Quote von acht auf vier Prozent zu verringern, sei damit „bisher deutlich verfehlt“, stellt Klemm fest. Es sei kaum zu erwarten, dass diese Marke noch in diesem Jahr erreicht werde.

Der Bildungsexperte weist auch auf große Unterschiede zwischen den neuen Ländern und Flächenstaaten im alten Bundesgebiet hin: In Bayern hört nicht einmal jeder 20. Schüler ohne Zertifikat mit der Schule auf, in Mecklenburg-Vorpommern trifft dies auf gut jeden zehnten zu. Ähnliche Differenzen gibt es bei den sogenannten Mindeststandards in Mathematik: In Bremen scheitern daran 11,5 Prozent der Neuntklässler, in Sachsen nur 1,3 Prozent.

Weiterhin hoch ist die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Ausbildung: 2013 hatten 1,4 Millionen im Alter von 20 bis 29 Jahren weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch waren sie dabei, eine solche zu erwerben. Das entspricht einem Anteil von 13,8 Prozent in dieser Altersgruppe. Das Ziel des Bildungsgipfels, den Wert von 17 auf 8,5 Prozent zu halbieren, sei damit „bis 2015 völlig ausgeschlossen“, heißt es in der Untersuchung. Besser sieht es bei den Krippenplätzen aus: Bundesweit sollte bis 1. August 2013 für 35 Prozent der unter Dreijährigen ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. Bis 1. März 2014 lag die Betreuungsquote bei 32,3 Prozent. Vor allem die alten Bundesländer liegen allerdings noch häufig weit unter der Zielmarke.

Fortschritte gibt es bei der Weiterbildung: Bis 2015 sollte sich jeder Zweite zwischen 19 und 64 weitergebildet haben. 2012 lag die Quote bereits bei 49 Prozent. Das Erreichen des 50-Prozent-Ziels bis 2015 sei daher wahrscheinlich, stellt Klemm fest. Er sieht aber eine „soziale Schieflage“: Gerade Arbeitslose, gering Qualifizierte, Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und aus Zuwandererfamilien nähmen deutlich seltener an Weiterbildung teil. Sie „bleiben somit abgehängt“, schreibt der Bildungsforscher. Diese soziale Chancenungleichheit kritisiert Klemm auch bei den Studienanfängern. Er wertet es als Erfolg, dass die Zahl der Studienanfänger auf weit mehr als die proklamierten 40 Prozent eines Jahrgangs gestiegen sei. Zahlen des Deutschen Studentenwerks belegten aber, dass „unter den Studierenden nur 27 Prozent aus Familien stammen, in denen die Eltern eine Lehre beziehungsweise Facharbeiterausbildung haben, während 50 Prozent aus Familien kommen, in denen die Eltern einen Hochschulabschluss erworben haben“.

Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, fordert deshalb „einen neuen Bildungsgipfel noch in diesem Jahr. Bund, Länder und Kommunen müssen zusammen mit den Sozialpartnern eine neue gemeinsame Bildungsstrategie vereinbaren“. Das Bildungssystem produziere „zu viele Bildungsverlierer. Diesen Menschen droht ein Leben in prekären Verhältnissen, die meisten von ihnen werden kaum ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können“. Es seien nicht mehr nur „gute Ganztagsschulen“ nötig. „Wir müssen auch die zahllosen Warteschleifen im Übergang von der Schule in die Ausbildung abbauen und das Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen fördern.“

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) unterstützt die Forderung des DGB nach einem neuen Bildungsgipfel. „Es ist an der Zeit, über alle politischen Ebenen hinweg eine gemeinsame Strategie zu entwickeln“, sagt er. Die erzielten Fortschritte „reichen bei Weitem nicht aus“. Das Kooperationsverbot im Grundgesetz, das eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung untersagt, sei „anachronistisch, es muss durch die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ersetzt werden“.

Auch die saarländische Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) spricht sich für eine gemeinsame Bildungsstrategie bis zum Jahr 2020 aus. Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss sei immer noch „zu hoch“. Nach wie vor gebe es „zu viele junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Deshalb sollten wir uns mit dem bisher Erreichten nicht einfach zufriedengeben“.

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