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Unter dem Elysium der Sumpf

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Es ist nun auch schon bald wieder ein halbes Jahrhundert her, dass an der Hamburger Universität von den Studenten ein Transparent mit der Aufschrift „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ enthüllt wurde. Gemeint war damit der ungute Geruch, der sich an den Universitäten gebildet hatte, weil diese es versäumten, das Verhältnis der Hochschulen zum Nationalsozialismus klärend aufzuarbeiten. Es handelte sich also eindeutig um ein politisches Müffeln.

Nun gibt es auch andere als akademische Talare, nämlich die der Geistlichkeit, und da sie länger als 1000 Jahre in der Welt sind, könnte sich unter ihnen – redlicherweise muss man sagen: unter einigen von ihnen – ebenfalls eine ziemliche Stickluft angesammelt haben. Wobei hier gut unterschieden werden muss. In einem österreichischen Chorherrenstift deutete einst ein Mönch auf einen entfernt stehenden anderen und sagte augenzwinkernd: „Das is der Herr X., der hat’s faustdick unter der Kuttn.“ Wir sind unter Männern, hieß das, und Chorherren sind eben auch welche.



Die Regensburger Domspatzen im Jahre 2014. Eine Dokumentation in der ARD beschäftigt sich jetzt mit früheren Missbrauchsskandalen im Internat.

Mit diesem Komplex beschäftigt sich Mona Botros in ihrer Dokumentation Sünden an den Sängerknaben, und sie tut das alles andere als augenzwinkernd. Die Filmemacherin hat zusammen mit drei ehemaligen Regensburger Domspatzen einen sehr weiten und für die Protagonisten extrem schmerzlichen Weg in die Vergangenheit zurückgelegt. Udo Kaiser, Alexander Probst und Georg Auer sind heute das, was man gern „gestandene Männer“ nennen würde, wäre da nicht in jedem von ihnen eine vor Zeiten gemordete, zumindest geschändete Kinderseele, die zu verbergen sie nicht länger Kraft und Lust haben. Das früh erfahrene Leid war lange Jahre in ihnen verschlossen, doch irgendwann erging es ihnen, mit Verlaub, wie dem Archibald Douglas aus der Ballade, der lieber tot sein wollte, als dass er den Schmerz länger ertragen hätte. Einer von ihnen, der immer wieder von Tränen und Schluchzen heimgesuchte Georg Auer, sagt es einmal ganz ähnlich wie Fontanes Held: Es wäre besser gewesen, tot zu sein.

Wovon bis vor einigen Jahren selbst unter jovialsten und weltfreudigsten Mönchen nie die Rede war, das waren Dinge, deren Antrieb gleichfalls unter den Talaren gesucht werden musste. Mittlerweile ist der sexuelle Missbrauch, der in den Internaten – in manchen, um auch hier gerecht zu sein – fast gewohnheitsrechtlich betrieben wurde, zu einem vielerorts beredeten Thema geworden, mit all den Folgen, die viel beredete Themen nach sich ziehen können: dass man’s „schön langsam nicht mehr hören kann“; dass geistliche Erzieher in Bausch und Bogen als Strolche oder jedenfalls Filous hingestellt werden; dass Internate als Stätten der Verderbnis gelten, in denen die Kinder zwar viel lernen, andererseits aber zu seelischen Krüppeln werden. Dabei gab es auch früher Internate genug, die sich das Wohl ihrer Zöglinge in jeder Hinsicht angelegen sein ließen. Noch heute erzählen alte Knaben, dass es auf ihrer Schule außer den damals von jedermann für legitim gehaltenen und stolz ertragenen körperlichen Züchtigungen keine Übergriffe gegeben habe.

Einen besonderen Geschmack erhalten Missbrauchsgeschichten, wenn der Ort der Untat ein renommiertes Institut ist wie das Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen. Das Bild, das die Welt von diesem Knabenchor hat, ist von so exemplarischer Heiterkeit, Schönheit und Reinlichkeit, dass man an einen Sumpf unter diesem Elysium nicht glauben und von ihm auch nichts hören möchte. Es hat sich freilich erwiesen, dass die niederen Triebe ungefestigter Männer sich hier nicht weniger als anderswo Bahn zu brechen wussten, und das wohl umso leichter, als bei der Fülle hübscher und ahnungsloser Buben der Tisch ja gewissermaßen gedeckt war.

Die Dokumentation läuft auf zwei Schienen. Zum einen lässt Mona Botros ihre beschädigten Helden berichten, was ihnen im vermeintlichen Himmel der Domspatzen widerfuhr. Nicht alles, was man dabei an Schlimmem, Unglaublichem zu hören bekommt, erfüllt im strengen Sinn den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs, und man kann, bei allem Widerwillen gegen die Täter im Priestergewand, nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob sie ihre dürftige Befriedigung fanden, wenn sie den Kopf des Buben, dessen nackten Hintern sie versohlten, zwischen ihre Schenkel pressten. Die „Stellung“ als solche lässt indessen wenig Deutungsfreiheit.

Um der Opfer willen muss der Missbrauchsbegriff weit gefasst werden. Man kann ein Kind auch vergewaltigen, indem man es für die Bettnässerei, die schließlich aus der ständigen Angst resultiert, ebenso exemplarisch wie ruchlos abstraft. Es gab da einen Präfekten, der so einem Buben das feuchte Leintuch über den Kopf zog und ihn dem Spott der Kameraden überantwortete. Wer je in einem Internat war, weiß nur zu gut, mit welch schauriger und oft jauchzender Bereitwilligkeit die Meute derlei Lizenzen Folge leistet – eine seelische Verkrüppelung auch dies.

Die andere Schiene ist der Blick auf die Diözese Regensburg, die sich für eine genaue und „zeitnahe“ Aufklärung starkmacht, deren Jurisdiktion nichtsdestoweniger von merkwürdiger Steifigkeit ist. Natürlich müssen bei all diesen Fällen auch die berechtigten Interessen der mutmaßlichen Täter gewahrt bleiben, dürfen die Vertreter des Bistums den Mund nicht so weit öffnen, wie sie das möglicherweise gern täten. Die Dokumentation lässt jedoch wenn schon nicht den Schluss, so doch den Verdacht zu, dass man es zugunsten dieser Interessen in Kauf nimmt, dass die Opfer als Lügner und Verleumder dastehen.

Unter den grotesken Figuren, mit denen der Regensburger Dom geschmückt ist, befindet sich auch ein Affe im Talar, mit überdeutlich erigiertem Penis. Was immer der Bildhauer damit hatte sagen wollen: Als Vorbild war der Affe sicher nicht gedacht.

Sünden an den Sängerknaben, ARD, 23.30 Uhr.




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