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Das große Flattern

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Als am Mittwochabend auf der wichtigsten Berliner Modeparty ein schmaler Mann mit Brille im Borchardt auftaucht, schenkt ihm niemand besondere Beachtung. Er sieht aus, als sei er darüber froh, hält auf den abgelegensten Stehtisch zu, vorbei an einem gefiederten Arrangement roter Blüten, und fühlt sich womöglich an die Cage aux folles erinnert. Jedenfalls verlässt Michael Müller, der neue Stadtobere, die „Fashion Night“ bald wieder. Erster Eindruck: Bürgermeister Müller und die Mode, das muss erst noch werden. Es könnte aber auch Strategie sein, die Branche rotiert ja mal wieder auf das Schönste um sich selbst, Aufbruchstimmung wird beschworen – vom Beobachtungsposten sieht man da am besten, wann der Dampf verpufft ist.



Großen Eindruck auf der Berliner Fashion Week machte die Präsentation des Nigerianers Bobby Kolade. In seiner Kollektion bricht er auf spielerische Art klassische Formen auf.

Natürlich gehört gerade das Exaltierte seit jeher zur Mode, und Spektakel erwarten auch die Schaulustigen, die sich Montagmorgen zum Auftakt der Winter Fashion Week an den Absperrungen vorm Brandenburger Tor postieren. Zwar ist die Ausbeute mager, wie immer im Januar, weil die Juliausgabe bei warmen Temperaturen einfach mehr zu Verkleidungen animiert. Aber eine Gruppe spanischer Blogger trampelt sich immerhin unter Gejohle die Füße warm in Schuhen mit goldenen Plateausohlen. Und einer Karosse des Hauptsponsors entsteigt ein ums andere Mal ein beklagenswertes Mädchen in rückenfreier Robe, die Schultern immer höher gezogen, bis endlich die richtigen Motive fotografiert sind.

Dazu passt, dass die Eröffnungsshow der New Yorkerin Charlotte Ronson tropisch anmutende Feriengarderobe zeigt. Trotzdem irritierend: Schließlich stehen hier die Kollektionen der Designer für den kommenden Winter auf dem Programm. Eine leichte Brise aus Daisy-Prints, Strandsandalen – Ronsons Entwürfe sind hübsch, aber harmlos. Ein Vorzeichen für die folgenden vier Modetage ist das nicht: So viele starke Auftritte hat die Berliner Fashion Week lange nicht präsentiert.

Dabei lag eher Anspannung in der Luft. Unter den mehr als zehn gleichzeitig stattfindenden Verkaufsschauen hatte die bekannteste Messe Bread & Butter Insolvenz anmelden müssen, die Umverteilung der zugkräftigen Marken verlief nicht ohne Reibereien. Die Zeiten, als eine Vivienne Westwood in der Hauptstadt zeigte, scheinen ewig zurückzuliegen. Dass Hollywood-Schönheit Katie Holmes für Marc Cain eingeflogen wird, dass Boris Beckers Tochter Anna Ermakova, 14, mit einem Plüschpudel über den Laufsteg hüpft, ist Munition für Kritiker: zu viel Promi-Getöse. Immerhin, es gab auch eine Konferenz zur deutschen Mode, ein „German Fashion Council“ wurde gegründet, der nach britischem Vorbild heimischem Design auf dem Weltmarkt mehr Geltung verschaffen soll.

Dorothee Schumacher ist da schon weiter, diesmal mit Kniestrümpfen zu Wintersandalen. Im bildschönen Säulensaal der Elisabethkirche zeigt die Designerin aus Mannheim eine Kollektion für Frauen, die sich lieber gut anziehen als das urdeutsche Schisma zwischen Ernst und Entertainment durchzukauen. Janis Joplin röhrt durch die Lautsprecher, dazu gibt es A-Linien-Kleider in kühlem Tomatenrot, Glitzerlurex zu plüschigem Fell und einen lässigen Faye-Dunaway-Rock im Kamelhaarlook der Siebziger. Eine rasante Performance, Mode soll ja Spaß machen, und in der ersten Reihe verfolgen die Schauspielerinnen Bibiana Beglau und Christiane Paul sichtlich vergnügt das Defilée.

So einfach ist die Trennung nämlich nicht – hier das wahre Design, dort der Hype um eingekaufte Halbprominenz. In der Welt der Mode haben auch die besten Häuser stets die verkaufsfördernde Nähe zu Stars gesucht, es ist ein gegenseitiges Umflattern, ob am Runway von Chanel oder in Berlin Mitte. Nur wird die Verquickung hier gern bedenkenträgerisch beäugt. Frauen wie Bibiana Beglau im schwarz gebauschten Trägerkleid können da zur Entspannung beitragen. Das Polarisieren zwischen hoher Kunst und dem „Wie bitte, du interessierst dich für Kleidung?“-Tadel findet sie albern. „Mir kommt dieses Abgrenzen ängstlich vor“, sagt sie. „Dabei weiß jeder Schauspieler, dass keine Rolle ohne Kostüm funktioniert.“

Und ohne Risiko keine aussagekräftige Mode. Im täglichen Pensum des Schauenkalenders, wenn an PR-Agenten und ermatteten Magazinherausgeberinnen ein Stück nach dem anderen in sogenannten Gewürztönen vorbeizieht (Trendfarbe Chili, etwa bei Laurel), ein weites Beinkleid dem nächsten folgt (der Hosenrock-Trend, bei Dimitri, Paper London und fast allen anderen) – dann bleiben oft die Präsentationen im Gedächtnis, die sich nicht darum scheren, ob die Entwürfe vom Laufsteg herunter sofort auf dem Kurfürstendamm tragbar wären. Sondern die ein Gespür für Schnitte, Lust auf Experimente erkennen lassen. Der Nigerianer Bobby Kolade zum Beispiel hat bei seinem Debüt in einer abgetakelten Fabrikhalle gewitzt mit dem Aufbrechen klassischer Formen gespielt. Kantige Mäntel fügt Kolade zu Zwittern aus feinem Zwirn und afrikanisch bunten Stoffen zusammen, strenge Faltenröcke geraten durch einen Tunnelzug am Bund ins Schwingen: eine Mixtur aus Ethno und Bauhaus, die das Publikum bejubelt.

Auch Sasa Kovacevic ist ein Lokalmatador, der serbische Designer zeigt mit dem Label Sadak im Zelt am Brandenburger Tor kraftstrotzende Männermode mit Dschingis-Khan-Mänteln und Drachenmustern. Viele seiner Models wirken orientalisch und knabenhaft zugleich, mit Schnauzern und blond gefärbten Mädchenlocken. Eine weitere Nachwuchshoffnung: Tim Labenda, der mit seinem butterweich gefilzten Kokon-Mantel für ein paar Augenblicke die Aufmerksamkeit einer stark blondierten Einkäuferin aus dem Düsseldorfer Raum fesseln kann. „Den da mit der kleinen weißen Bluse, das überleg ich mir“, flötet sie am Stand des Nachwuchsdesigners. Was in Zeiten holpernder Geschäfte eine sensationell gute Nachricht ist.

Fragen beantworten, Verhandlungen anbahnen, Visitenkarten tauschen: So geht das beim ersten Berliner Modesalon im Kronprinzenpalais, wo Jungtalente neben arrivierten Marken ausstellen, den ganzen Nachmittag. Klavierklänge perlen durch die Etagen, man nippt an Prosecco rosé, es ist eine respektable Leistungsschau hochwertigen deutschen Modedesigns. Mit einer netten Fußnote: Hier fanden auch schon trockenere Events statt, wie die Unterzeichnung des Einheitsvertrags 1990.

Dass international erfolgreiche Profis wie Talbot Runhof oder Allude mit ihrer Teilnahme der ganzen Branche Schwung verleihen sollen, ist ein guter Grundgedanke. „Jetzt muss man sehen, was dabei rumkommt“, sagt Allude-Chefin Andrea Karg, die ihre neue Kaschmirkollektion als Videoinstallation aus München nach Berlin mitgebracht hat. Johnny Talbot und Adrian Runhof, sonst mit Hollywood im Geschäft, erklären derweil geduldig die mallorquinischen Muster ihrer Pre-Fall-Entwürfe in warmen Erdtönen. Auch das Designer-Duo der in Paris erfolgreichen Marke Odeeh, Otto Drögsler und Jörg Ehrlich, haben mit ihrer französisch eleganten, sachte experimentellen Kollektion Unterstützung nicht mehr nötig.

„Ich glaube, dass wir viele Christopher Kanes haben“, sagt Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp in Anspielung auf den jungen Star der Londoner Szene. Man müsse nur besser vernetzt sein in Berlin, besser fördern, auch Qualität fordern. „Dann werden wir herausfinden, wer unsere Shining Stars sind.“ Auffallend übrigens, dass sich zwei bereits gemachte Stars diesen Januar ganz auf märchenhaft schöne, aber nicht unbedingt avantgardistische Entwürfe konzentriert haben: Sowohl Lala Berlin als auch Kaviar Gauche präsentierten Abend- und Brautkleider mit Couture-Touch und dem viel beschworenen, besser: viel vermissten Glamourfaktor deutscher Mode.

Einer, der die Innigkeit solcher Wünsche charmant weglächelt, ist Mario Testino. Der makellos gebräunte Modefotograf sitzt bei der Konferenz zur Zukunft heimischer Mode auf dem Podium. Im Wesentlichen besteht seine Botschaft aus dem Ratschlag, nicht so verkopft mit Mode umzugehen. „Deutsche haben immer solche Angst, sie könnten sich zu sehr stylen“, sagt der gebürtige Peruaner. Mehr Lockerheit, mehr Mut, mehr Lust auf Mode – so banal es klingt, darin liegt wohl viel Wahres. „Look, ihr hattet Jahrzehnte keine Fashion Week, jetzt gibt es sie. Oder nicht?“ Geduld also. In sechs Monaten ist der nächste Termin in Berlin.

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