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Organisierte Krawallmacher

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Sie nennen es die dritte Halbzeit, meistens dauert sie keine zwei Minuten. Irgendwo am Stadtrand rennen dreißig, vierzig, fünfzig Leute brüllend aufeinander los, schlagen, boxen, treten, bis eine Gruppe geschlagen am Boden liegt. Meistens filmt irgendeiner mit dem Handy mit. Es gibt ein paar ungeschriebene Regeln, wer sie missachtet, darf nächstes Mal nicht mehr mitmachen. Ein Extremsport, hart, aber fair, sagen Hooligans, weil doch jeder weiß, worauf er sich einlässt. An diesem Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) der Legende von der sportiven Massenschlägerei ein Ende bereitet.



Hooligangruppen, die ausschließlich auf Schlägerein aus sind, gelten nach dem neuen Gerichtsbeschluss als kriminelle Vereinigungen. Ob auf dieser Grundlage auch gegen die "Hooligans gegen Salafisten" vorgegangen werden kann, ist noch unklar.

Solche Auseinandersetzungen gelten fortan generell als gefährliche Körperverletzung, auch wenn alle Beteiligten sehenden Auges in Kauf nehmen, dass sie dabei verletzt werden. Und nicht nur das: Hooligangruppen, deren Daseinszweck dieses nun als strafbar geltende Prügeln ist, sind als kriminelle Vereinigung einzustufen. In dem Karlsruher Verfahren ging es um die „Hooligans Elbflorenz“, eine Dresdner Gruppe, die zu den härtesten in Deutschland gezählt wird. Mehrmals hatten sie sich mit den Hools aus Coswig zu Prügeleien verabredet, es ging um die Vormachtstellung in Dresden. Oft traf und schlug man sich nach den Spielen von Dynamo Dresden, manchmal aber auch losgelöst vom Sport – aus den Stadien ist der Hooliganismus ohnehin schon vor Jahren verschwunden. Und 2008, nach dem Halbfinale der Europameisterschaft zwischen Deutschland und der Türkei, traf die Gewalt auch die, die nichts damit zu tun haben wollten: Mindestens 80 Personen, unter ihnen viele Hooligans, überfielen türkische Läden in der Dresdner Neustadt. Das Landgericht Dresden verhängte Freiheits- und Geldstrafen gegen fünf Angeklagte.

Juristisch kompliziert war der Fall vor allem deshalb, weil die Justiz die verabredeten Prügeleien bisher nicht so recht zu fassen bekam; eine Körperverletzung ist normalerweise nicht strafbar, wenn der Betroffene einwilligt. Der BGH hatte aber bereits Anfang 2013 einen Vorstoß unternommen, solche Auseinandersetzung wegen ihrer beträchtlichen Eskalationsgefahr als „sittenwidrig“ und damit als strafbar zu bewerten. Und das Landgericht Dresden wollte zumindest besonders riskante Schlägereien als Körperverletzung ahnden – etwa, wenn sie einen bestimmten Umfang annehmen oder auch auf asphaltiertem und damit verletzungsträchtigen Untergrund stattfinden.

Nun jedoch ist der 3. BGH-Strafsenat unter Vorsitz von Jörg Becker deutlich darüber hinausgegangen. Verabredete Schlägereien sind grundsätzlich und ohne Einschränkung strafbar. Dass die Beteiligten wissen, worauf sie sich einlassen, dass sie gebrochene Arme oder geprellte Rippen in Kauf nehmen – spielt alles keine Rolle mehr: Die dritte Halbzeit ist kein Sport, sondern gefährliche Körperverletzung. Nach dem Urteil könne es keinerlei Diskussion mehr darüber geben, dass solche Auseinandersetzungen strafbar seien, kommentierte Bundesanwalt Johann Schmid. In der Verhandlung im November hatte ein Verteidiger der Angeklagten eingewandt, dann müsste auch so mancher im Fernsehen übertragener Boxkampf oder „Free fight“ strafbar sein. Der Senatsvorsitzende Becker machte dagegen deutlich, dass solche Einzelduelle nicht mit den Gefahren einer Massenschlägerei vergleichbar seien.

Mit dem Urteil ist eine juristische Kettenreaktion in Gang gesetzt, die den Strafverfolgern ein scharfes Schwert im Umgang mit organisierten Hooligans in die Hand gibt. Sobald ihr „Vereinszweck“ die verabredeten Prügeleien sind – also Straftaten –, gelten sie als kriminelle Vereinigung. Eine Einstufung, die vor allem als Ermittlungsinstrument große Wirkung entfaltet. Man kennt das aus anderen Zusammenhängen: Hausdurchsuchung, Telefonüberwachung, all diese Maßnahmen kann ein Staatsanwalt nun sehr viel leichter beantragen. Mit dem Karlsruher Urteil werden die Strafverfolger den Druck auf gewaltbereite Hooligans also deutlich erhöhen können. Ob dies freilich Konsequenzen für die jüngst aufgetretenen „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) hat, die im Oktober mit Ausschreitungen in Köln von sich reden machten, wird man abwarten müssen. Als kriminelle Vereinigung kann nur eine straffe Organisation mit strafbaren Zielen eingestuft werden – das müsste der Hogesa erst nachgewiesen werden.

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