Fluggesellschaften holen alte Flugzeuge mit hohem Spritverbrauch in den Dienst zurück. Die Airlines profitieren vom günstigen Sprit ebenso wie Spediteure oder Reedereien. Schlecht läuft es dagegen für die Ölindustrie selbst. In dieser Branche melden die Konzerne erhebliche Kursverluste und verringerte Investitionen in neue Förderung, weil die Gewinne schrumpfen. Wegen des Ölpreisverfalls will der weltweit größte Bergbaukonzern BHP Billiton jetzt 40 Prozent seiner Schieferölbohranlagen in den USA schließen. Die boomende Ölbranche in den USA wird zum Opfer ihres eigenen Erfolgs. „Wir stehen kurz vor dem Kollaps“, erklärt der Sprecher des britischen Ölindustrieverbandes. „Beim derzeitigen Ölpreis ist es fast unmöglich Geld zu verdienen.“ Das könnte sich schon bald wieder ändern. Mancher Experte sagt voraus, der Ölpreis werde nicht mehr lange auf dem heutigen Niveau bleiben. Die Bank Sal. Oppenheim erwartet ein Ansteigen des Preises in der zweiten Jahreshälfte. Der italienische Ölkonzern Eni warnt bereits vor einem Ölpreis von 200 Dollar pro Barrel. Der könnte bald eintreten, weil jetzt Investitionen in die Ölförderung gestoppt werden.
Vom niedrigen Ölpreis profitieren viele Wirtschaftsbranchen - nur nicht die Ölbranche. Lange wird der Preis aber wohl nicht mehr so billig bleiben.
Autoindustrie
Autokonzerne brauchen Jahre, um neue Fahrzeuge zu entwickeln. Wer plant, was in etwa zehn Jahren auf der Straße herumfahren wird, beginnt schon jetzt, sich darüber Gedanken zu machen. Daher hat es nur bedingt mit der Höhe des Ölpreises zu tun, dass die Konzerne besonders große Kisten zur diesjährigen Automesse nach Detroit brachten. Die Geländewagen waren längst geplant. Audis neuer Q7, der GLE Coupe, all die großen Spritschlucker made in USA. Dass der Ölpreis pünktlich zur Detroit-Show auf einen Preis von unter 50 Dollar pro Barrel sackte, konnte man vorher nicht wissen.
Für die Konzerne aber war es so etwas wie Weihnachten und Ostern zusammen. Billiges Benzin ist ein Absatzbeschleuniger, denn Menschen bekommen Lust, neue und dicke Autos zu kaufen, wenn der Benzinpreis niedrig ist. Auch das ein interessanter Nebeneffekt: Nicht wenige Manager nehmen die Preisentwicklung gerne auch als Beleg dafür, dass ihre Modellpolitik genau richtig ist – immer größere Autos, immer mehr PS, immer mehr Blech. Von wegen, der Trend geht zu kleinen Elektroautos. Die Welt will große Schlitten fahren! Kostet ja praktisch nichts.
US-Medien rechneten vor, dass der Preisverfall an der Tanksäule die amerikanischen Haushalte im Schnitt um mehr als 500 Dollar im Jahr entlasten werde. Kein Wunder also, dass die Hälfte des dortigen Automarkts inzwischen aus sogenannten SUVs, also Geländewagen, besteht, aus Autos also, die man nicht gerade kauft, weil sie so sparsam sind. Das könnte noch jahrelang so weitergehen: niedriger Ölpreis, hoher Absatz. Das wird aber nicht so sein, und deswegen wissen auch die Planer in den Konzernen, dass sie für die kommenden Jahre wieder umdenken müssen.
Erstens: Der Ölpreis von heute ist nur eine Momentaufnahme, und nur weil man deshalb heute ein paar Geländewagen mehr verkauft, bedeutet das nicht, dass es im nächsten Jahr noch immer so sein muss. Öl wird teurer und knapper, das gilt als gesicherte Annahme.
Zweitens: Die Autoindustrie steht weltweit unter dem Regime strenger werdender CO₂-Regeln. Allein die EU-Kommission verlangt einen Grenzwert von 95Gramm pro Kilometer im Jahr 2020. In den Jahren danach dürften die Regeln noch strenger werden. Die Emissionsgrenzen werden auf komplette Fahrzeugflotten eines Herstellers umgerechnet, und sie lassen sich nicht erreichen, wenn ein Konzern nur noch Gelände- oder Sportwagen verkauft. So oder so müssen die Konzerne zusehen, dass sie in den nächsten Jahren verstärkt auf Elektroautos und sogenannte Hybridantriebe (also eine Mischung aus Benzin- und Elektromotor) setzen. Andernfalls drohen ihnen drakonische Strafen aus der Politik.
Der niedrige Ölpreis kann sich insofern verheerend auswirken. Wenn Menschen bei Neuanschaffungen eher zum großen Benzinschlucker greifen, bleiben die Hersteller erst einmal auf ihren Elektrovehikeln sitzen. Das wäre fatal zu einer Zeit, in der der Markt für Elektroautos allmählich auf Touren kommen muss, um in ein paar Jahren die richtige Mischung aus Verbrennungsmotoren und Batterieautos auf der Straße zu haben. Thomas Fromm
Luftfahrt
Kaum ein Faktor hat die Luftverkehrsindustrie in den vergangenen Jahren so geprägt wie der hohe Preis des Flugbenzins. Früher hatte das Kerosin einen Anteil von unter 20 Prozent an den Gesamtkosten. Doch zuletzt war er auf 40 bis 50 Prozent hochgeschnellt. Die Fluggesellschaften mussten ihre Strategien überdenken, die Flugzeughersteller investierten in neue, spritsparende Motoren. Alles umsonst? Der Kerosinpreis ist in den vergangenen sechs Monaten um 40 Prozent gefallen. Bleibt er auf dem aktuellen Niveau, ist der Treibstoff zwar immer noch mehr als doppelt so teuer wie 2004, aber die Airlines können mit deutlich steigenden Gewinnen rechnen. Alleine die Lufthansa glaubt, dass sie 2015 mit 5,8 Milliarden Euro etwa 900 Millionen Euro weniger für Treibstoff ausgeben muss als im vergangenen Jahr. 2012, als die Preise im Durchschnitt am höchsten waren, betrugen die Spritkosten gar 7,4 Milliarden Euro. Zwar gibt Lufthansa selbst noch keine neue Gewinnprognose heraus, doch strebt sie ein Betriebsergebnis deutlich über dem Niveau von 2014 an. Hauptgrund ist der Ölpreis. Die International Air Transport Association (IATA) geht davon aus, dass die Airlines im Jahr 2015 insgesamt einen Gewinn von 25Milliarden US-Dollar machen werden, gut fünf Milliarden mehr als 2014.
Der Effekt könnte sogar noch deutlich größer sein, aber viele Fluggesellschaften haben Sicherungsgeschäfte für den Spritpreis abgeschlossen, die sich jetzt zu ihrem Nachteil auswirken: Da kaum ein Unternehmen mit so stark sinkenden Preisen gerechnet hat, bezahlen die meisten derzeit deutlich mehr als das aktuelle Marktniveau. Der amerikanischen Delta Air Lines hat der Treibstoff das jüngste Quartalsergebnis verhagelt.
Viel diskutiert wird in der Branche, ob der niedrige Kerosinpreis dazu führen wird, dass Fluggesellschaften ältere Flugzeuge länger fliegen und nicht mehr so viele neue bestellen und ob sie die Kapazitäten stärker ausweiten. Bei den Bestellungen glauben die meisten Beobachter nicht an eine Wende, denn die Fluggesellschaften rechnen nicht damit, dass der Preis lange so niedrig bleibt, und die Flotten werden in der Regel für viele Jahre im Voraus geplant. Manche wollen offenbar ältere und abgeschriebene Maschinen, die eigentlich stillgelegt werden sollten, doch noch ein wenig länger einsetzen. Bei den jetzigen Kosten rentieren sie sich plötzlich wieder. Jens FLottau
Chemie
Ohne Erdöl läuft in der Chemieindustrie wenig. Unternehmen wie BASF, Bayer, Lanxess und Evonik setzten ein Zehntel des deutschen Ölverbrauchs ein, um Kunststoffe, Schaumstoffe, Fasern, Farben oder Waschmittel herzustellen. Ein Beispiel: 60Liter Erdöl sind durchschnittlich in einer Couch verarbeitet. Der fallende Ölpreis, gepaart mit dem schwachen Euro, müsste deshalb die Branche beflügeln. Müsste. Aber so simpel ist die Sache nicht. Die BASF als größter Chemiekonzern betrachtet den Sinkflug der Rohstoffpreise zwiespältig. Der Konzern ist über seine Tochter Wintershall selbst im Ölgeschäft aktiv, fördert in Norwegen, Russland, Libyen. Ein Fünftel der Umsätze kommt aus dem Öl- und Gasgeschäft. Als Faustregel nennt die BASF folgende Relation: Fällt der Ölpreis im Jahresschnitt um einen Dollar pro Fass, so sinkt der Gewinn der Ölgeschäfte um etwa 15 Millionen Euro.
Auf der anderen Seite steigert eine Aufwertung des Dollar um einen US-Cent im Jahresdurchschnitt das Ergebnis um 50Millionen Euro. Vom Öl die Finger lassen will die BASF gleichwohl nicht. Vorstandschef Kurt Bock betont, Erdgas und Erdöl blieben weltweit die dominierenden Energieträger und Rohstoffe. BASF werde ihr Öl -und Gasgeschäft deshalb stetig ausbauen. Das klappt jedoch nicht so wie erhofft. Ende Dezember platzte ein lange geplantes Tauschgeschäft mit der russischen Gazprom, bei dem die BASF Speicherkapazitäten abgeben und im Gegenzug neue Gasfelder gewinnen wollte.
Noch eine hausgemachte Kalamität bremst die Geschäfte der Chemiebranche: Bei den Produkten, die auf Öl basieren, sinken deren Preise parallel zum Öl. Das wissen aber auch die Kunden, und die warten vor dem Kauf in aller Ruhe ab. Das gilt vor allem für Kautschuk und die Kunststoffvorprodukte MDI und TDI, die von der deutschen Chemie massenweise produziert werden. Lanxess-Chef Matthias Zachert warnte vor den Folgen stockender Bestellungen und dem Abbau von Vorräten durch die Abnehmer. Bei aller Zurückhaltung der Chemiekonzerne aber gilt: Sollte die weltweite Konjunktur durch die sinkenden Ölpreise an Fahrt gewinnen, ist diese Branche ganz vorn mit dabei. Denn die Grundstoffe der Industrie kommen aus den chemischen Werken – weltweit. Ob in den USA, Europa oder in China, die Deutschen sind immer vor Ort. Helga Einecke
Konsumgüter
Konsumgüterhersteller wie Henkel oder Beiersdorf dürften vom niedrigeren Ölpreis profitieren. Für viele Kosmetikartikel und Haushaltsprodukte wird Erdöl gebraucht. Ein Drittel der Rohstoffe und Verpackungsmaterialien, die Henkel (Persil, Pril, Pritt) einsetzt, ist direkt vom Ölpreis abhängig. Dessen Verfall wirkt sich mit einer Verzögerung von bis zu einem halben Jahr positiv auf das Konzernergebnis aus. Auch beim Nivea-Hersteller Beiersdorf machen sich die Effekte mit Verspätung bemerkbar, da der Konzern mit seinen Lieferanten Verträge über einen längeren Zeitraum vereinbart hat. „Es bleibt abzuwarten, ob es zu einer merklichen längerfristigen Kostenentlastung zum Beispiel bei Transport- und Energiekosten kommen wird“, sagt eine Beiersdorf-Sprecherin.
Schwierig abzuschätzen sind für die Konsumgüterhersteller die indirekten Folgen des Ölpreisverfalls. Zwar kaufen die Kunden mehr Markenartikel, weil niedrigere Energiepreise wie eine Einkommenserhöhung wirken. Das gilt vor allem für Industrieländer wie Deutschland oder die USA. Die US-Verbraucher haben seit dem jüngsten Preisverfall im Durchschnitt pro Jahr 600 Dollar mehr in der Tasche. Doch in den Ländern, deren Volkswirtschaft stark vom Ölexport abhängen, sinkt die Konsumbereitschaft. „Wie sich beide Effekte in der Summe auswirken werden, können wir heute noch nicht prognostizieren“, sagt Henkel-Chef Kasper Rorsted.
Die Düsseldorfer versuchen daher seit Jahren, ihre Abhängigkeit vom Rohöl zu verringern. Sie setzen verstärkt nachwachsende Rohstoffe ein, die bisher nicht teurer sein durften als das Öl. Ein Beispiel für diese Strategie war das Putzmittel Terra Aktiv, bei dem nur nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz kamen. Doch Terra wurde kein Verkaufsschlager. Henkel musste erkennen, dass deutsche Verbraucher nicht dazu bereit sind, ein paar Cent mehr für ein solches Öko-Produkt auszugeben. Kirsten Bialdiga
Energie
Auf den ersten Blick spielt der Ölpreis für Deutschlands Energiebranche kaum eine Rolle. Nur ein Prozent der heimischen Stromversorgung wird aus Erdöl gespeist. Auch international spielt Öl bei der Stromerzeugung nur eine Nebenrolle. Kaum ein Industriestaat verfeuert den kostbaren Stoff noch in Kraftwerken. Doch in den Konzernzentralen, bei Experten und in der Politik wächst die Sorge, dass der Preisverfall auf Umwegen in der Branche einiges durcheinanderbringen könnte.
Da der Gaspreis oft an den Ölpreis gekoppelt ist, werden fossile Energien auf breiter Front günstiger. Die jüngste Marktentwicklung könnte auf Dauer „eine stärkere Nutzung von fossilen Brennstoffen befördern und so Anstrengungen untergraben, die Energieversorgung unseres Planeten nachhaltiger zu machen“, warnt Maria van der Hoeven, die Chefin der Internationalen Energieagentur (IEA) vor einem Rückschlag beim Ausbau erneuerbarer Energien und den Folgen für das Klima.
Bislang spüren Solar-, Wind- und Wasserbranche weltweit noch keinen Einbruch. Obwohl der Rohölpreis im vergangenen Jahr deutlich gesunken ist, wurde rund um den Globus wieder deutlich mehr Geld in den Ausbau der erneuerbaren Energien gesteckt. Dem Datendienst Bloomberg New Energy Finance zufolge flossen insgesamt 310 Milliarden Dollar in neue Projekte insbesondere für die Stromerzeugung aus Sonnen- und Windkraft. Das ist ein Plus von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nur 2011 wurde mit Rekordinvestitionen von 317,5 Milliarden Dollar mehr in grünen Strom gesteckt. Ein über Jahre anhaltender niedriger Ölpreis könnte jedoch Investitionen in erneuerbare Energien verlangsamen oder gar verhindern, erwartet die Internationale Energieagentur.
Raschere Folgen des fallenden Ölpreises fürchten Experten bei den deutschen Bemühungen für mehr Energieeffizienz. Der steigende Ölpreis hatte die energetische Sanierung von Gebäuden vorangetrieben. Der Anreiz für Investitionen drohe nun zu sinken, glaubt Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie. Markus Balser
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Sechzig Liter in einer Couch
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