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Der Freund deines Feindes

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Lizzie Doron ist bekannt geworden durch autobiografische Romane, in denen sie ihr Leben als Kind einer Holocaustüberlebenden in Israel mit viel schwarzem Humor literarisch gestaltet. Ihre Szenen aus dem Leben der Zweiten Generation finden sich in israelischen Schulbüchern und sind in mehrere Sprachen übersetzt. Jetzt erscheint ihr neues Buch „Who the Fuck Is Kafka“ – und zwar ausschließlich auf Deutsch. Darin beschreibt die israelische Autorin Innenansichten des israelischpalästinensischen Verhältnisses und den mühsamen Aufbau einer persönlichen Freundschaft.



Die Sperranlage zwischen Israel und Palästina ist nur ein Symbol für den seit Jahren währenden Konflikt zwischen den beiden Ländern. In ihrem Buch "Who the Fuck Is Kafka" erzählt die israelische Autorin Lizzi Doron von ihrer Freundschaft zu einem Palästinenser.

SZ: Was hat Sie veranlasst, in Ihrem neuen Buch einen Palästinenser zum Protagonisten zu machen?
Lizzie Doron: Ich habe in der Vergangenheit immer meine Geschichte in den Mittelpunkt gestellt und wollte nun die des „Anderen“ erzählen. Auf einer Friedenskonferenz 2009 in Rom traf ich einen Palästinenser aus dem Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan. In meinem Buch nenne ich ihn Nadim. Wir lernten uns kennen und merkten, dass wir eine Menge Träume teilten. Es entstand die Idee, dass er einen Film über mich macht und ich ein Buch über ihn. Wir hatten den gemeinsamen Willen, den Menschen im Nahen Osten zu zeigen, dass Israelis und Palästinenser Freunde sein können.

War das nicht naiv?
Nein. Wir dachten, wir können jetzt etwas verändern, unsere Freunde und Familien beeinflussen, auch andere motivieren, voneinander zu lernen. Viele Menschen glaubten – wie während des Osloer Abkommens – mit uns daran, dass, wenn man miteinander redet, dem anderen zuhört und ihn versteht, auch die Politik sich verändern wird.

Spätestens aber seit dem letzten Gazakrieg ist dieser Glaube widerlegt.
Heute sehe ich, dass dieses ganze Vorhaben größenwahnsinnig war. Nadim hat seinen Film nicht gedreht. Denn er vermutet, dass sein Bruder bei der Hamas ist. Und er hat Angst vor seinem Vater, der nichts von unserem Projekt wusste. Als er mich ihm einmal vorstellte, bat er mich, Italienisch zu sprechen. Und sein Vater glaubte, ich sei Italienerin. Wir sind von Anfang an einer Illusion nachgelaufen.

Sie berichten in Ihrem Buch von vielen solchen Momenten. Ein Roman ist das nicht, eher ein mit schwarzem Humor gefärbtes Potpourri israelisch-palästinensischer Alltagsneurosen.
Keine Ahnung, wie ich diesen Text nennen soll. Erst war es ein Tagebuch mit zwei Stimmen. Ich habe jedes Treffen festgehalten, jeden Gedanken, jedes Gefühl, alles, was uns widerfuhr. Aber nach eineinhalb Jahren bekam Nadim kalte Füße. Er hatte Angst, dass die Hamas ihn für einen Kollaborateur halten würde. Und verlangte, das Geschriebene zu lesen. Da wir uns immer auf Englisch unterhielten, ließ ich den ganzen Text ins Arabische übersetzen. Als er ihn mir zurückgab, war fast alles gestrichen. Ich war ziemlich sauer. Wir einigten uns dann auf einen Monolog: Ich spräche über meinen Gefühle und Gedanken und würde mit dem Leser teilen, was mich während der Zeit unserer intensiven Beziehung bewegte. Neben der Schilderung objektiver Tatsachen steht meine subjektive Perspektive. Von da an kam ich mir wie ein Akrobat vor – zwischen zwei Bewusstseinsebenen balancierend.

Wenn Nadim so besorgt war, dass man ihn identifiziert, mussten Sie für die Geschichte nicht die Fakten verändern?
Alles in dem Buch basiert auf Fakten. Ich habe nur ein paar Details seiner Biografie verändert. Dazu benutzte ich Geschichten anderer Palästinenser – trotzdem ist es immer noch seine Geschichte. Denn die eine ähnelt der anderen. Beispielsweise in der Art, wie Palästinenser am Checkpoint behandelt werden. Oder darin, dass ihre Kinder, obgleich sie Muslime sind, in eine christliche Schule gehen – Israel hat aus Sicherheitsgründen die Schule für muslimische Kinder nicht fertigbauen lassen. Viele Palästinenser in seinem Viertel sind Akademiker und arbeiten an Hochschulen in der Westbank. Ich war überrascht, dass die Geschichte, die ich erzähle, nicht die eines Einzelnen, sondern die Geschichte einer Gemeinschaft ist.

Die aber in sich extrem gespalten ist.
Bis in die Familien. Ich habe auch mit seinen Kindern gesprochen. Der jüngste Sohn ist ein palästinensischer Friedensaktivist. Der ältere studiert. Er hasst Israelis, ist voller Wut. Er hielt es nicht einmal aus, mit uns am Tisch zu sitzen. Er hat die Erniedrigungen seiner Mutter an den Checkpoints miterlebt. Und er war mit dem Jungen befreundet, der vor einigen Monaten von jüdischen Radikalen bei lebendigem Leibe verbrannt worden ist. Aber es gibt auch sehr viele gebildete Palästinenser in Silwan, die sich sogar darum bemühten, israelische Staatsbürger zu werden. Sie wollen in einer westlich geprägten Gesellschaft leben. Das Problem sind die israelischen Behörden, die darauf spekulieren, dass diese Schicht eines Tages die Stadt verlässt. Silwan war lange ein sehr ruhiger Ort.

Ist das inzwischen anders?
Als das Buch fertig war, verschlechterte sich die Situation. Die Leute sind wütend, es gibt jede Nacht Zusammenstöße. Dennoch: Bis vor wenigen Monaten gab es dort für die Menschen die Motivation, friedlich zu leben.

Warum erscheint Ihr Buch nicht auf Hebräisch, nicht auf Arabisch, sondern auf Deutsch?
Nadim hat Angst, dass ihn jemand erkennt. Er sagt: Selbst wenn die Radikalen nicht mich ins Visier nehmen, dann jemand anderen, weil sie glauben, dass er Nadim ist. Wir witzelten: Protagonist des Buches ist halt der, den die Hamas erwischt. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Ich hatte meinem israelischen Verleger versprochen, sechs Bücher über das Leben der „Zweiten Generation“ zu schreiben, von der Kindheit bis heute. Mittlerweile ist es sehr trendy, Bücher über den Holocaust und unsere eigene Geschichte zu schreiben. Parallel zum sechsten schrieb ich dieses Buch. Es wurde eher fertig. Und dann sagte man mir: Das könnte problematisch werden, die Leute erwarten doch etwas über den Holocaust. Die Geschichte des Anderen ist im Moment nicht sehr populär in Israel.

Wie denken Sie darüber?
Ich habe mich in dem Moment auch gefragt, ob ich ein Buch kaufen würde, das die Geschichte eines Palästinensers erzählt. Es ist schwer, in israelischen Buchhandlungen heute etwas zu finden, das sich mit den Angelegenheiten der Palästinenser befasst. Wir suchen Bücher, die uns unterhalten und nicht mit unangenehmen Geschichten konfrontieren.

Woran liegt das?
In der Psychologie nennt man das Empathie-Ermüdung. Wir sind so erschöpft von diesem Konflikt und den Geschichten der Anderen. Die Situation ist noch bedrohlicher geworden und niemand weiß, was morgen geschieht.

Sie erzählen gleichzeitig auch die Geschichte einer israelischen Linken, die an ihre Grenzen stößt und nicht mehr weiterweiß.
In den vergangenen Jahren habe ich viele Konflikte aushalten müssen. Ich war während des Schreibens starker Kritik fast aller meiner Freunde ausgesetzt. Sie warfen mir vor, ich sei blind. Unterstützt haben mich nur mein Mann und meine Kinder. Mit anderen konnte ich meine Erlebnisse und Gefühle nicht teilen. Es ist sehr schwer den israelisch-palästinensischen Konflikt wirklich zu verstehen. Ja, mein Buch schildert nicht nur die Geschichte der Palästinenser, sondern auch israelischen Alltag, den Zustand von Menschen, die keine Energie mehr haben, sich schuldig zu fühlen oder damit klarzukommen, dass sie nichts verändern können.

Und Nadim? Sie beschreiben ihn als Zerrissenen, der sich selbst im Weg steht, der eine Veränderung seines Lebens will, aber in seiner kulturellen Tradition gefangen ist.
Auch er ist sehr allein. Er sagte mir: Das einzige, was mir Halt gibt, sind die Wurzeln der Familie und der Tradition. Ich kann nicht sein wie du. Du wirst von einem Staat geschützt. Nadim fürchtet sich vor der palästinensischen Hamas. Und vor dem israelischen Geheimdienst Mossad. Ich kann ihn verstehen. Trotzdem ist es schwer für mich, seine Haltung zu akzeptieren.

Und Sie halten dennoch an dieser Freundschaft fest?
Sie ist die spannendste Erfahrung, die ich als Schriftstellerin jemals gemacht habe. Wir haben ja keine politischen Konflikte.

Aber große Differenzen in Fragen der Religion, der Kultur, der Frauenrechte...
Ja. Nadim liest beispielsweise keine Bücher. Er kennt nur den Koran. Als Schriftstellerin war ich bestürzt, dass er nicht neugierig auf meine Bücher war. Und seiner Frau ist der Tradition nach nur erlaubt, uns zu bedienen und den Tisch abzuräumen. Ich darf nicht einmal einen Kaffee allein mit ihr trinken. Das macht mich immer noch verrückt. Als Kind hörte ich meine Mutter öfter sagen, das Wichtigste sei, einem anderen eine helfende Hand zu reichen. Sie selbst hatte im KZ einmal von einem SS-Arzt Medizin bekommen. Er rettete ihr Leben. Nach dem Krieg sagte sie für ihn aus. Er kam ins Gefängnis. Sie hatte verhindert, dass er hingerichtet wurde. Die Möglichkeit, etwas für andere zu tun, sagte sie, sei das höchste Maß der Zivilisation. Und ich glaube, das Treffen mit Nadim, seine Freundschaft, ist für mich die Erfüllung dieser Worte meiner Mutter. Es sind meine Worte geworden. Dafür bin ich dankbar, auch wenn wir keinen Frieden in den Nahen Osten gebracht haben.

Wie sehen Sie heute die Chancen zu einer Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern? Einerseits bin ich pessimistischer. Ich kann keine Lösung erkennen. Das andere ist: Nadim und ich haben eine unausgesprochene Vereinbarung, einander zu helfen. Während des letzten Gazakrieges rief er bei mir an. Er wisse, dass noch mehr Raketen auf Tel Aviv abgefeuert würden. Ich solle mit meiner Familie zu ihm nach Jerusalem kommen, dort sei ich sicher. Zwei Tage später wurde auch Jerusalem beschossen. Als ich ihn anrief, sagte er mir: Ganz in der Nähe von meinem Haus ist eine Rakete eingeschlagen. Ich fragte ihn: Was wird aus uns? Und er antwortete: Ich bin sehr optimistisch – der IS wird uns beide umbringen.

Wir haben so eine Art gemeinsamen Humor. Wir beide teilen das Gefühl: Menschen können nicht Umstände ändern, die größer sind als sie selbst. Wir sind Freunde, nicht weil wir die selben Werte teilen, sondern wegen unseres Charakters. Es gibt viele Gründe, befreundet zu sein, aber besonders interessant ist es, der Freund deines Feindes zu sein.


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