Als der Sohn am Abend den Stall betrat, um die Kühe zu melken, fand er dort seinen toten Vater. Der 61 Jahre alte Landwirt aus Nümbrecht bei Köln hatte am Nachmittag des 8. Januar eine Schiebetür reparieren wollen, heißt es später im Polizeibericht. Dabei habe ihn sein Zuchtbulle tödlich verletzt. Der 18-jährige Sohn und die Mutter hatten den Mann noch nicht bestattet, als ein anderer Landwirt aus der Nachbarschaft im Internet eine zweite bestürzende Entdeckung machte.
Auf Facebook las er von einer Tierrechtsorganisation namens Animal Peace, die den Todesfall als Befreiungsakt des Hausrinds bejubelt. „Ein dreijähriger Bulle hat nahe Köln seinen Sklavenhalter angegriffen und tödlich verletzt“, stand dort. Und: „Wir verneigen uns vor dem Held der Freiheit. Mögen ihm viele weitere Rinder in den Aufstand der Geknechteten folgen.“
Silke Ruthenberg hat diese Worte auf die alarmrote Website der Tierrechtsorganisation getippt. Sie ist die Vorsitzende von Animal Peace, einer Organisation, die Mitte der Achtziger von autonomen Tierrechtlern gegründet wurde und zu ihren besten Zeiten nach eigenen Angaben mehr als 30000 Mitglieder hatte. Heute sind es noch gut 5000. Die Aktivisten werben dafür, vegan zu leben und den menschlichen Grundrechten nachempfundene Tierrechte einzuführen. Ihre Bullenhuldigung hat nun weniger eine Debatte darüber entfacht, was Tierhalter dürfen, sie hat vielmehr die Frage aufgeworfen: Wie weit dürfen Tierschützer gehen?
Wie weit dürfen Tierschützer gehen? Ein Landwirt wird in Nürnbrecht bei Köln von seinem Zuchtbullen getötet. Die Tierrechtsorganisation 'Animal Peace' bejubelt das als Akt der Freiheit der Geknechteten (Bullen).
Denn von Ruthenbergs Strategie, auf diese Weise Aufmerksamkeit zu generieren, haben sich selbst Tierschützer rasch distanziert. „Den Tod eines Menschen darf man auch für die Rechte von Tieren nicht nutzen“, sagt eine Peta-Sprecherin auf Anfrage. „Wer das macht, der gehört nicht in die Reihen des seriösen Tierschutzes, der schadet dem seriösen Tierschutz massiv“, teilte der Deutsche Tierschutzbund mit.
Silke Ruthenberg triumphiert dennoch – oder gerade deshalb. In den Neunzigerjahren galt sie als Star der Veganerszene – zu einer Zeit, als Vegansein noch mehr Politik und weniger Lifestyle war. Tierrechtsbewegungen waren damals in Deutschland seit etwa zwei Jahrzehnten aktiv, und Ruthenberg wusste, dass man für die Sache am besten mit heftigen Bildern kämpft.
Sie kippte Kunstblut vor Pelzgeschäfte, kettete sich im Münchner Tierpark nackt an den Zaun des Gorillageheges und dekorierte eine Frankfurter Konsummeile mit toten Hühnern aus der Legebatterie. Als dann vor fast zwölf Jahren ihr Sohn geboren wurde, ihr kleiner Welpe, wie sie sagt, verzichtete sie zwischenzeitlich auf das Engagement. Jetzt aber ist sie zurück. Und sie kennt die Mechanismen, wie die öffentliche Aufmerksamkeit funktioniert; sie weiß, dass sich ihre alten Bilder etwas abgenutzt haben. Deshalb hat sie in Sachen Provokation noch einen Gang zugelegt.
Am Telefon spricht Silke Ruthenberg hochfrequent und euphorisiert. „Ich habe meinen Gesinnungsgenossen immer gesagt: Blut und Federn, der ganze Foltervoyeurismus sind so was von out! Das haben die Leute schon vor 20 Jahren gesehen.“ Außerdem sei sie wahnsinnig genervt davon, dass Veganer heute nur noch Rezepte austauschten. Eine politische Debatte müsse wieder her.
Auch ihre Kollegen fahren starkes Geschütz auf. Als Ende vergangenen Jahres ein Bauernhof im Landkreis Cham in Flammen stand und die Feuerwehr beschloss, 13 Rinder nicht mehr aus dem brennenden Stall zu retten, um keine Menschenleben zu gefährden, erstattete Peta Strafanzeige gegen die Tierhalter.
Die doppelt gebeutelte Familie des toten Landwirts aus Nümbrecht hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. In ihrer Ortschaft haben private Fernsehsender Kameras aufgestellt und Nachbarn befragt. Einer, der dort seine Fassung als einer der ersten wiedererlangt hat, ist Helmut Dresbach. Er ist Vorstand der Kreisbauernschaft Oberberg, in der auch der verstorbene Landwirt Mitglied war – und ein Bekannter der Familie. Er hat im Namen seiner Organisation und der Witwe vergangene Woche Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Köln erstattet. Paragraf 189 Strafgesetzbuch: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Den Tod eines Menschen für irgendwelche politischen Zwecke zu instrumentalisieren, einen für artgerechte Tierhaltung ausgebildeten Landwirt als „Sklavenhalter“ zu bezeichnen, sei widerwärtig, sagt er. Seine Stimme bebt, er ist wütend. Wie die Tierhaltung des verstorbenen Landwirts aussah? Ein Oberbergischer Familienbetrieb, sagt Dresbach. Die Rinder kommen auf große Weideflächen, bestes Gras. 70 Kühe gehören der Familie, ein eher kleinerer Milchviehbetrieb. „Plus der Bulle“, sagt Dresbach. Dann schweigt er.
An dieser Stelle könnte man über die Frage sprechen, wie schwierig es ist, temperamentvolle Zuchtbullen zu halten – und ob dabei Fehler gemacht wurden. Man könnte fragen, warum sich in den vergangenen Monaten Berichte über Attacken durch Rinder auf Menschen in den Schlagzeilen zu häufen schienen. Man könnte fragen, wie tierfreundlich selbst hochmoderne Ställe in Deutschland sind. Aber nichts davon sollte aufgrund einer menschlich fragwürdigen Aktion wie der von Animal Peace passieren. Stattdessen wird ein Gericht klären müssen, wie der zweifelhafte Kommentar im Netz zu bewerten ist. Und man wird sich wappnen müssen für immer drastischere Bilder und Botschaften, mit denen Tierschutzaktivisten für ihre Sache kämpfen.
Was Silke Ruthenberg der Witwe und ihrem Sohn sagen würde, wenn sie ihr vor Gericht begegneten? Einen Moment lang ist es still am anderen Ende der Leitung. Dann sagt sie: „Die Sache mit den Hinterbliebenen ist das einzige, was mir keinen Spaß macht.“ Sie sagt aber auch, dass das nicht in ihrer Verantwortung liege, sondern im Bereich derer, die nun rechtliche Schritte einleiten. Denn am Dienstag teilte auch die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft mit, sie habe Anzeige erstattet.
All das aber sieht Ruthenberg gelassen. Sie ist schon Dutzende Male für ihre Aktionen vor Gericht gestanden. „Wenn ich damit ein paar Veganer weg von Zucchini-Spaghetti-Rezepten hin zu den eigentlichen politischen Themen bewege, wird es mir eine Freude sein, wieder einmal vor Gericht zu stehen.“
Auf Facebook las er von einer Tierrechtsorganisation namens Animal Peace, die den Todesfall als Befreiungsakt des Hausrinds bejubelt. „Ein dreijähriger Bulle hat nahe Köln seinen Sklavenhalter angegriffen und tödlich verletzt“, stand dort. Und: „Wir verneigen uns vor dem Held der Freiheit. Mögen ihm viele weitere Rinder in den Aufstand der Geknechteten folgen.“
Silke Ruthenberg hat diese Worte auf die alarmrote Website der Tierrechtsorganisation getippt. Sie ist die Vorsitzende von Animal Peace, einer Organisation, die Mitte der Achtziger von autonomen Tierrechtlern gegründet wurde und zu ihren besten Zeiten nach eigenen Angaben mehr als 30000 Mitglieder hatte. Heute sind es noch gut 5000. Die Aktivisten werben dafür, vegan zu leben und den menschlichen Grundrechten nachempfundene Tierrechte einzuführen. Ihre Bullenhuldigung hat nun weniger eine Debatte darüber entfacht, was Tierhalter dürfen, sie hat vielmehr die Frage aufgeworfen: Wie weit dürfen Tierschützer gehen?
Wie weit dürfen Tierschützer gehen? Ein Landwirt wird in Nürnbrecht bei Köln von seinem Zuchtbullen getötet. Die Tierrechtsorganisation 'Animal Peace' bejubelt das als Akt der Freiheit der Geknechteten (Bullen).
Denn von Ruthenbergs Strategie, auf diese Weise Aufmerksamkeit zu generieren, haben sich selbst Tierschützer rasch distanziert. „Den Tod eines Menschen darf man auch für die Rechte von Tieren nicht nutzen“, sagt eine Peta-Sprecherin auf Anfrage. „Wer das macht, der gehört nicht in die Reihen des seriösen Tierschutzes, der schadet dem seriösen Tierschutz massiv“, teilte der Deutsche Tierschutzbund mit.
Silke Ruthenberg triumphiert dennoch – oder gerade deshalb. In den Neunzigerjahren galt sie als Star der Veganerszene – zu einer Zeit, als Vegansein noch mehr Politik und weniger Lifestyle war. Tierrechtsbewegungen waren damals in Deutschland seit etwa zwei Jahrzehnten aktiv, und Ruthenberg wusste, dass man für die Sache am besten mit heftigen Bildern kämpft.
Sie kippte Kunstblut vor Pelzgeschäfte, kettete sich im Münchner Tierpark nackt an den Zaun des Gorillageheges und dekorierte eine Frankfurter Konsummeile mit toten Hühnern aus der Legebatterie. Als dann vor fast zwölf Jahren ihr Sohn geboren wurde, ihr kleiner Welpe, wie sie sagt, verzichtete sie zwischenzeitlich auf das Engagement. Jetzt aber ist sie zurück. Und sie kennt die Mechanismen, wie die öffentliche Aufmerksamkeit funktioniert; sie weiß, dass sich ihre alten Bilder etwas abgenutzt haben. Deshalb hat sie in Sachen Provokation noch einen Gang zugelegt.
Am Telefon spricht Silke Ruthenberg hochfrequent und euphorisiert. „Ich habe meinen Gesinnungsgenossen immer gesagt: Blut und Federn, der ganze Foltervoyeurismus sind so was von out! Das haben die Leute schon vor 20 Jahren gesehen.“ Außerdem sei sie wahnsinnig genervt davon, dass Veganer heute nur noch Rezepte austauschten. Eine politische Debatte müsse wieder her.
Auch ihre Kollegen fahren starkes Geschütz auf. Als Ende vergangenen Jahres ein Bauernhof im Landkreis Cham in Flammen stand und die Feuerwehr beschloss, 13 Rinder nicht mehr aus dem brennenden Stall zu retten, um keine Menschenleben zu gefährden, erstattete Peta Strafanzeige gegen die Tierhalter.
Die doppelt gebeutelte Familie des toten Landwirts aus Nümbrecht hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. In ihrer Ortschaft haben private Fernsehsender Kameras aufgestellt und Nachbarn befragt. Einer, der dort seine Fassung als einer der ersten wiedererlangt hat, ist Helmut Dresbach. Er ist Vorstand der Kreisbauernschaft Oberberg, in der auch der verstorbene Landwirt Mitglied war – und ein Bekannter der Familie. Er hat im Namen seiner Organisation und der Witwe vergangene Woche Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Köln erstattet. Paragraf 189 Strafgesetzbuch: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Den Tod eines Menschen für irgendwelche politischen Zwecke zu instrumentalisieren, einen für artgerechte Tierhaltung ausgebildeten Landwirt als „Sklavenhalter“ zu bezeichnen, sei widerwärtig, sagt er. Seine Stimme bebt, er ist wütend. Wie die Tierhaltung des verstorbenen Landwirts aussah? Ein Oberbergischer Familienbetrieb, sagt Dresbach. Die Rinder kommen auf große Weideflächen, bestes Gras. 70 Kühe gehören der Familie, ein eher kleinerer Milchviehbetrieb. „Plus der Bulle“, sagt Dresbach. Dann schweigt er.
An dieser Stelle könnte man über die Frage sprechen, wie schwierig es ist, temperamentvolle Zuchtbullen zu halten – und ob dabei Fehler gemacht wurden. Man könnte fragen, warum sich in den vergangenen Monaten Berichte über Attacken durch Rinder auf Menschen in den Schlagzeilen zu häufen schienen. Man könnte fragen, wie tierfreundlich selbst hochmoderne Ställe in Deutschland sind. Aber nichts davon sollte aufgrund einer menschlich fragwürdigen Aktion wie der von Animal Peace passieren. Stattdessen wird ein Gericht klären müssen, wie der zweifelhafte Kommentar im Netz zu bewerten ist. Und man wird sich wappnen müssen für immer drastischere Bilder und Botschaften, mit denen Tierschutzaktivisten für ihre Sache kämpfen.
Was Silke Ruthenberg der Witwe und ihrem Sohn sagen würde, wenn sie ihr vor Gericht begegneten? Einen Moment lang ist es still am anderen Ende der Leitung. Dann sagt sie: „Die Sache mit den Hinterbliebenen ist das einzige, was mir keinen Spaß macht.“ Sie sagt aber auch, dass das nicht in ihrer Verantwortung liege, sondern im Bereich derer, die nun rechtliche Schritte einleiten. Denn am Dienstag teilte auch die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft mit, sie habe Anzeige erstattet.
All das aber sieht Ruthenberg gelassen. Sie ist schon Dutzende Male für ihre Aktionen vor Gericht gestanden. „Wenn ich damit ein paar Veganer weg von Zucchini-Spaghetti-Rezepten hin zu den eigentlichen politischen Themen bewege, wird es mir eine Freude sein, wieder einmal vor Gericht zu stehen.“