Als die Polizei in Baku ihn zum ersten Mal zum Verhör ruft, zieht Rasul Jafarov sein Alarm-Armband an. Es soll den Menschenrechtsaktivisten durch einen eingebauten Sender beschützen, mit ihm kann Jafarov bei Gefahr ein Notsignal absetzen. Doch das ist nicht nötig, die Polizei befragt ihn nur und lässt ihn dann wieder gehen.
Kurze Zeit später muss Jafarov noch einmal zur Polizei kommen. Dieses Mal denkt er sich nichts mehr dabei, lässt das Armband zu Hause. Doch an diesem Tag im August 2014 stecken sie Jafarov ins Gefängnis. Er arbeitet zu dieser Zeit an einer Liste politischer Gefangener in Aserbaidschan, auf der nun auch sein Name steht.
Aufruhr in Cambodia. Die schwedische Menschenrechtsorganisation Civil Rights Defenders stattet weltweit Aktivisten mit Alarm-Armbändern aus.
„Hätte Rasul das Armband bei sich gehabt, wäre das unser erster scharfer Alarm gewesen“, sagt Robert Hårdh, Chef der schwedischen Menschenrechtsorganisation Civil Rights Defenders, als er die Geschichte erzählt. Vor ihm auf dem Tisch liegt eines der klobigen schwarzen Armbänder, die aus sechs Kunststoff-Elementen bestehen. Etwa 40 Menschen überwacht die schwedische Organisation bisher. Um Alarm auszulösen, müssen sie nur eines der Glieder auseinanderziehen, das Armband sendet dann seine Koordinaten direkt ins Büro der Organisation nach Stockholm oder auf das Handy eines Mitarbeiters, der gerade Notdienst hat. Dieser prüft, ob der Alarm echt ist, und verständigt in dem Fall die „Shields“, die Schutzschilde vor Ort. Das sind meist Vertraute, Kollegen, Familie und Freunde des Menschenrechtsaktivisten, die ihm dann zu Hilfe eilen. Wenn nötig, wenden sich die Civil Rights Defenders an Botschaften und an andere Menschenrechtsorganisationen, können mit dem Notruf aber auch über Facebook und Twitter an die Öffentlichkeit gehen und so womöglich lokale Proteste auslösen oder internationale Aufmerksamkeit auf den Fall ziehen.
„Wir haben quasi die Welt um den Arm unserer Kollegen im Feld gelegt“, sagt Hårdh. Die Technik dazu stammt aus Schweden. Ursprünglich war der Sender zum Beispiel für Teenager gedacht, wenn sie alleine im Dunkeln durch den Park joggen. Für die Civil Rights Defenders wurde das Armband so umgebaut, dass es nur aufzuspüren ist, wenn der Träger das möchte.
Hårdh wünscht, er hätte einen der roten Alarm-Punkte auf der Karte aufblinken sehen, als 2009 die russische Journalistin Natalja Estemirowa im tschetschenischen Grosny entführt und erschossen wurde. Sie hatte Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aufgedeckt und wohl deswegen sterben müssen. Nach ihr sind die Armbänder benannt: Natalia Project. Nach ihrem Tod führte die Organisation ein Sicherheitstraining für Menschenrechtsaktivisten ein und kam so auf die Idee mit dem Armband. „Hätten wir den Alarm damals schon gehabt, wären wir in der Lage gewesen, ihren Entführern zu folgen. Vielleicht hätten wir dann etwas tun können“, sagt Hårdh.
So wie im Fall von Phyllis Omido, Umweltaktivistin in der kenianischen Hafenstadt Mombasa, wo eine Fabrik ein Armenviertel am Rand der Stadt seit Jahren mit Blei verseucht. Nachdem Ärzte bei ihrem Sohn eine Bleivergiftung diagnostiziert hatten, gründete Phyllis Omido 2009 eine eigene Organisation, das „Zentrum für Gerechtigkeit, Regierungsführung und Umweltschutz“. Sie organisierte Demonstrationen und Rechtsberatung für die Anwohner - und handelte sich damit reichlich Schwierigkeiten ein. Dass es sich bei den wiederholten Drohanrufen, die sie auf ihrem Handy erhielt, nicht um Scherze handelte, wurde ihr spätestens an jenem Abend im Jahr 2012 klar, als sie im Dunkeln mit ihrem Sohn nach Hause kam.
Vor der Tür warteten zwei bewaffnete Männer, packten sie und begannen, auf sie einzuprügeln. „Bist du ein Mann?“ zischte einer der beiden: „Warum legst du dich mit Männern an?“ Sie flehte die Angreifer an, wenigstens ihren Sohn ins Haus zu lassen, in Sicherheit, „er ist doch noch ein Kind.“ Dann fuhr plötzlich ein Auto vor, es war der Nachbar, und im Scheinwerferlicht rannten die beiden Männer davon. Doch von nun an wusste sie, dass dergleichen erneut passieren könnte: „Hier in Kenia haben Politiker und Geschäftsleute ihre eigenen Schlägertrupps“, sagt sie. „Und wenn jemand ihren finanziellen Interessen in die Quere kommt, verstehen sie keinen Spaß.“
Ihre Kollegen vom Dachverband der Menschenrechts-Aktivisten in Kenia sorgten sich zunehmend um Phyllis Omido – und brachten sie in Kontakt mit den Leuten vom Natalia Project in Stockholm. Seit einem halben Jahr trägt sie nun das Armband, und erst kürzlich, Mitte Januar, hat sie zum ersten Mal den Alarm ausgelöst. Sie war mit einer Delegation von Ärzten in dem Armenviertel nahe der Fabrik unterwegs, als ihr Handy mehrmals klingelte. Eine männliche Stimme fragte sie, ob sie sich das wirklich gut überlegt habe, was sie da gerade tue. „Da wusste ich, dass es wieder ernst werden könnte“, sagt sie.
Sie zog an dem Armband, das Signal blinkte in Stockholm auf, und die Civil Rights Defenders verständigten die Beschützer von Omido, darunter ihren Bruder. Der folgte ihr dann den ganzen Tag und hielt das Büro in Schweden pausenlos auf dem Laufenden über die Lage in Mombasa. „Das hat mich sehr beruhigt, sagt Omido. „Ich weiß, dass sowohl meine Familie als auch die internationale Gemeinschaft genau verfolgen kann, was mit mir passiert.“ So könne sie sich ganz auf meine Arbeit als Aktivistin konzentrieren. „Wer in ständiger Angst lebt, dem fehlt auf Dauer die Kraft, um wirklich etwas zu verändern“, sagte sie.
Hårdh und seine Kollegen entwickeln für jeden Armband-Träger ein eigenes Sicherheitsprotokoll. Für einige etwa ist es wichtig, dass sie anonym bleiben. Einem Menschenrechtsanwalt, der Gefangenenlager besucht, würden die Sicherheitsleute solch ein Armband sofort wegnehmen. Die Stockholmer Organisation arbeitet deshalb an einer unauffälligeren Version des Armbands. Sie trainiert auch mit den Trägern und ihren „Schilden“, wie sie sich im Notfall verhalten sollen.
Kann man überhaupt jemandem zumuten, sich als Schutzschild in Gefahr zu begeben? Viele Aktivisten wollten das Armband gar nicht erst annehmen, weil andere ihrer Meinung nach in größerer Gefahr schweben. Wer ständig unter hohem Risiko lebe, sagt Hårdh, der nehme irgendwann nicht mehr wahr, dass er Schutz braucht. Und lasse dann das Armband zu Hause – so wie Rasul Jafarov in Aserbaidschan.
Kurze Zeit später muss Jafarov noch einmal zur Polizei kommen. Dieses Mal denkt er sich nichts mehr dabei, lässt das Armband zu Hause. Doch an diesem Tag im August 2014 stecken sie Jafarov ins Gefängnis. Er arbeitet zu dieser Zeit an einer Liste politischer Gefangener in Aserbaidschan, auf der nun auch sein Name steht.
Aufruhr in Cambodia. Die schwedische Menschenrechtsorganisation Civil Rights Defenders stattet weltweit Aktivisten mit Alarm-Armbändern aus.
„Hätte Rasul das Armband bei sich gehabt, wäre das unser erster scharfer Alarm gewesen“, sagt Robert Hårdh, Chef der schwedischen Menschenrechtsorganisation Civil Rights Defenders, als er die Geschichte erzählt. Vor ihm auf dem Tisch liegt eines der klobigen schwarzen Armbänder, die aus sechs Kunststoff-Elementen bestehen. Etwa 40 Menschen überwacht die schwedische Organisation bisher. Um Alarm auszulösen, müssen sie nur eines der Glieder auseinanderziehen, das Armband sendet dann seine Koordinaten direkt ins Büro der Organisation nach Stockholm oder auf das Handy eines Mitarbeiters, der gerade Notdienst hat. Dieser prüft, ob der Alarm echt ist, und verständigt in dem Fall die „Shields“, die Schutzschilde vor Ort. Das sind meist Vertraute, Kollegen, Familie und Freunde des Menschenrechtsaktivisten, die ihm dann zu Hilfe eilen. Wenn nötig, wenden sich die Civil Rights Defenders an Botschaften und an andere Menschenrechtsorganisationen, können mit dem Notruf aber auch über Facebook und Twitter an die Öffentlichkeit gehen und so womöglich lokale Proteste auslösen oder internationale Aufmerksamkeit auf den Fall ziehen.
„Wir haben quasi die Welt um den Arm unserer Kollegen im Feld gelegt“, sagt Hårdh. Die Technik dazu stammt aus Schweden. Ursprünglich war der Sender zum Beispiel für Teenager gedacht, wenn sie alleine im Dunkeln durch den Park joggen. Für die Civil Rights Defenders wurde das Armband so umgebaut, dass es nur aufzuspüren ist, wenn der Träger das möchte.
Hårdh wünscht, er hätte einen der roten Alarm-Punkte auf der Karte aufblinken sehen, als 2009 die russische Journalistin Natalja Estemirowa im tschetschenischen Grosny entführt und erschossen wurde. Sie hatte Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aufgedeckt und wohl deswegen sterben müssen. Nach ihr sind die Armbänder benannt: Natalia Project. Nach ihrem Tod führte die Organisation ein Sicherheitstraining für Menschenrechtsaktivisten ein und kam so auf die Idee mit dem Armband. „Hätten wir den Alarm damals schon gehabt, wären wir in der Lage gewesen, ihren Entführern zu folgen. Vielleicht hätten wir dann etwas tun können“, sagt Hårdh.
So wie im Fall von Phyllis Omido, Umweltaktivistin in der kenianischen Hafenstadt Mombasa, wo eine Fabrik ein Armenviertel am Rand der Stadt seit Jahren mit Blei verseucht. Nachdem Ärzte bei ihrem Sohn eine Bleivergiftung diagnostiziert hatten, gründete Phyllis Omido 2009 eine eigene Organisation, das „Zentrum für Gerechtigkeit, Regierungsführung und Umweltschutz“. Sie organisierte Demonstrationen und Rechtsberatung für die Anwohner - und handelte sich damit reichlich Schwierigkeiten ein. Dass es sich bei den wiederholten Drohanrufen, die sie auf ihrem Handy erhielt, nicht um Scherze handelte, wurde ihr spätestens an jenem Abend im Jahr 2012 klar, als sie im Dunkeln mit ihrem Sohn nach Hause kam.
Vor der Tür warteten zwei bewaffnete Männer, packten sie und begannen, auf sie einzuprügeln. „Bist du ein Mann?“ zischte einer der beiden: „Warum legst du dich mit Männern an?“ Sie flehte die Angreifer an, wenigstens ihren Sohn ins Haus zu lassen, in Sicherheit, „er ist doch noch ein Kind.“ Dann fuhr plötzlich ein Auto vor, es war der Nachbar, und im Scheinwerferlicht rannten die beiden Männer davon. Doch von nun an wusste sie, dass dergleichen erneut passieren könnte: „Hier in Kenia haben Politiker und Geschäftsleute ihre eigenen Schlägertrupps“, sagt sie. „Und wenn jemand ihren finanziellen Interessen in die Quere kommt, verstehen sie keinen Spaß.“
Ihre Kollegen vom Dachverband der Menschenrechts-Aktivisten in Kenia sorgten sich zunehmend um Phyllis Omido – und brachten sie in Kontakt mit den Leuten vom Natalia Project in Stockholm. Seit einem halben Jahr trägt sie nun das Armband, und erst kürzlich, Mitte Januar, hat sie zum ersten Mal den Alarm ausgelöst. Sie war mit einer Delegation von Ärzten in dem Armenviertel nahe der Fabrik unterwegs, als ihr Handy mehrmals klingelte. Eine männliche Stimme fragte sie, ob sie sich das wirklich gut überlegt habe, was sie da gerade tue. „Da wusste ich, dass es wieder ernst werden könnte“, sagt sie.
Sie zog an dem Armband, das Signal blinkte in Stockholm auf, und die Civil Rights Defenders verständigten die Beschützer von Omido, darunter ihren Bruder. Der folgte ihr dann den ganzen Tag und hielt das Büro in Schweden pausenlos auf dem Laufenden über die Lage in Mombasa. „Das hat mich sehr beruhigt, sagt Omido. „Ich weiß, dass sowohl meine Familie als auch die internationale Gemeinschaft genau verfolgen kann, was mit mir passiert.“ So könne sie sich ganz auf meine Arbeit als Aktivistin konzentrieren. „Wer in ständiger Angst lebt, dem fehlt auf Dauer die Kraft, um wirklich etwas zu verändern“, sagte sie.
Hårdh und seine Kollegen entwickeln für jeden Armband-Träger ein eigenes Sicherheitsprotokoll. Für einige etwa ist es wichtig, dass sie anonym bleiben. Einem Menschenrechtsanwalt, der Gefangenenlager besucht, würden die Sicherheitsleute solch ein Armband sofort wegnehmen. Die Stockholmer Organisation arbeitet deshalb an einer unauffälligeren Version des Armbands. Sie trainiert auch mit den Trägern und ihren „Schilden“, wie sie sich im Notfall verhalten sollen.
Kann man überhaupt jemandem zumuten, sich als Schutzschild in Gefahr zu begeben? Viele Aktivisten wollten das Armband gar nicht erst annehmen, weil andere ihrer Meinung nach in größerer Gefahr schweben. Wer ständig unter hohem Risiko lebe, sagt Hårdh, der nehme irgendwann nicht mehr wahr, dass er Schutz braucht. Und lasse dann das Armband zu Hause – so wie Rasul Jafarov in Aserbaidschan.