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Ticket-Alarm

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Bier, Kaffee, Benzin, Süßwaren, Lebensmittel – die Beamten aus dem Bundeskartellamt haben sich in den vergangenen Monaten öffentlichkeitswirksame Branchen vorgenommen. Und das durchaus mit Erfolg. Alleine im vergangenen Jahr hat die Wettbewerbsbehörde Strafen in Höhe von rund einer Milliarde Euro verhängt, das ist Rekord. Viele haben die Härte der Kartellwächter zu spüren bekommen: die großen Brauereien etwa, die nach den Ermittlungen der Behörde ein Kartell zum Nachteil der Verbraucher gebildet hatten, die Zuckerhersteller, die ihre Preise abgesprochen haben sollen, oder der Internethändler Amazon, dem bestimmte Preispraktiken auf seinem Marketplace (Best-price-Klauseln) untersagt wurden.



Die Vermarktungsfirma Eventim ist Marktführer in Europa und an der Börse etwa 2,6 Millionen Euro wert - jetzt stehen jedoch die Geschäftspraktiken unter Beobachtung.

„Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz“, sagt Kartellamtspräsident Andreas Mundt, 54, immer wieder. Der fröhliche Rheinländer führt die Behörde, die ihren Sitz im ehemaligen Bundespräsidialamt in Bonn hat, seit Ende 2009 – und er konzentriert sich besonders auf öffentlichkeitswirksame Fälle. Die Arbeit der Wettbewerbshüter soll sich unmittelbar für die Verbraucher bezahlt machen.

Jetzt haben sich Mundts Leute eine besonders komplizierte Branche vorgenommen, nämlich den Verkauf von Konzert- und Veranstaltungstickets. Das Kartellamt hat ein Verfahren gegen Europas größten Ticketvermarkter CTS Eventim eingeleitet. Hintergrund sei der mögliche Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, sagte ein Sprecher der Behörde. Es handele sich nicht um ein Bußgeld-, sondern um ein Verwaltungsverfahren, betonte er. Es gebe „unterschiedliche Vorwürfe“. Dabei würde vor allem die kartellrechtliche Zulässigkeit der Geschäftspraktiken von CTS Eventim geprüft und gegebenenfalls beanstandet, eine Strafe ist dabei nicht vorgesehen. Das Ticket-Thema hat jedenfalls Breitenwirkung: Wer ärgert sich nicht über angeblich zu hohe Preise oder unangemessene Nebenkosten?

CTS Eventim ist einer der Großen der Branche und wächst seit Jahren rasant. Zuletzt wurden über die Systeme von CTS rund hundert Millionen Eintrittskarten für rund 200000 Veranstaltungen vermarktet. Konzerte von Weltstar Rihanna über Schlagersängerin Helene Fischer bis zur Hip-Hop-Band Deichkind, Comedy-Veranstaltungen von Mario Barth oder Cindy aus Marzahn, Fußballspiele, Musicals – fast alles hat CTS Eventim im Angebot. Die Geschäfte laufen prächtig: Der Umsatz lag zuletzt europaweit bei 628 Millionen Euro mit 1800 Mitarbeitern, der Gewinn vor Zinsen und Steuern erreichte immerhin 111 Millionen Euro. Die Aktie ging in den vergangenen Monaten nach oben.

Auslöser für die jüngsten Ermittlungen seien Informationen aus Fusionsprüfungen unter Beteiligung von CTS Eventim in der Vergangenheit gewesen, heißt es in Bonn. Die Ermittlungen, die bereits im November aufgenommen wurden, liefen, derzeit würden die sichergestellten Unterlagen ausführlich geprüft. Zudem werden weitere Marktteilnehmer kontaktiert und um Informationen gebeten. Wie lange das Verfahren dauern wird, sei genauso offen wie der Ausgang.

Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandschef, Mehrheitsaktionär und Gründer von CTS Eventim, wies alle Beschuldigungen weit von sich. „Es ist allgemein bekannt, dass wir in Deutschland eine sehr gute Marktposition haben“, teilte Schulenberg am Montag mit und fügte an: „Wir sind Technologie- und Innovationsführer, und können uns daher gegenüber unseren Wettbewerbern häufig durchsetzen– und genau das ist die Natur des freien und fairen Wettbewerbs. Unlautere Methoden wenden wir nicht an.“ Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien in jeder Hinsicht eingehalten worden, betonte das Unternehmen. Sämtliche Fragen des Kartellamts seien bisher vollständig und fristgerecht beantwortet worden.

CTS Eventim verkauft Tickets, und betreibt dafür auch mehrere Online-Plattformen. Aber inzwischen hat die Firma expandiert, es gibt einen zweiten großen Bereich. Es werden Konzerte, Tourneen oder Festivals geplant, organisiert und abgewickelt. Zur Gruppe gehört etwa die Konzerthalle Hammersmith Apollo in London, es werden die Lanxess-Arena in Köln mit 20000 Plätzen sowie das Tempodrom und die Waldbühne in Berlin betrieben. Vor ein paar Monaten stieg die Firma bei der traditionsreichen Eiskunstlauf-Show „Holiday on Ice“ ein. Bekannt wurde CTS Eventim unter anderem, als die Firma die gesamten Tickets zum „Sommermärchen“ der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vermarktete. Auch die Eishockey-WM 2017 in Deutschland und Frankreich wird betreut.

Profitieren konnte die Firma unter anderem von den großen Verschiebungen in der Musikindustrie. Tonträger, also vor allem CDs, verlieren angesichts der Digitalisierung an Bedeutung, sie werden in den Zeiten des Internets durch teilweise kostenpflichtige Online-Streaming-Dienste ersetzt. Die Einnahmen der Künstler haben darunter gelitten, deshalb setzen sie heute stärker auch auf Konzerte und Live-Veranstaltungen – gut für CTS Eventim.

Im Jahr 2000 ging die Firma an die Börse, heute ist sie 2,6Milliarden Euro wert. Gut 50 Prozent der Papiere hält Schulenberg selbst, der einst als Manager des Schlagersängers Bernd Clüver („Der Junge mit der Mundharmonika“) begonnen hatte. Am Montag drückten die Ermittlungen auf den Aktienkurs, das Papier gab zunächst 17 Prozent ab, erholte sich aber wieder. Schon länger stehen die Geschäftspraktiken von CTS Eventim unter Beobachtung. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen beispielsweise kritisierte angeblich unverhältnismäßig hohe Gebühren für Tickets der Rockgruppe AC/DC. Dabei ging es um die Bezahlung per Kreditkarte oder Lastschrift und den Versand der Tickets; Eventim entschuldigte sich später.

Das Kartellamt hat nun offenbar ein besonderes Augenmerk auf den Online-Vertrieb der Tickets. Hier ist die Position von CTS Eventim stark, und hier könnte der Wettbewerb beeinträchtigt sein. Kartellamtspräsident Mundt macht sich generell schon länger Sorgen über den Internethandel und hat einigen den Kampf erklärt. Er sei da energischer als manch andere Wettbewerbsbehörde, betonte Mundt einmal.

So ging die Behörde gegen die Sportartikler Asics und Adidas vor, die für den Online-Handel besonders strenge Händlerrichtlinien ausgegeben hatten. Der bekannten Hotelreservierungsseite HRS wurde die sogenannte Meistbegünstigungsklausel untersagt, nachdem die Hotels dort immer die günstigsten Preise garantieren mussten.

Noch ist offen, ob die Behörde auch auf dem Ticketmarkt erfolgreich sein wird. Mundt will sich jedenfalls durchsetzen – natürlich zum Wohl des Verbrauchers.

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